Die Entwicklung zeigt, dass Tele-Therapien die Gesundheitsversorgung in der Schweiz verbessern und effizienter gestalten können.
«Die Arbeit von Physiotherapeut:innen hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Während vor 20 Jahren manuelle oder passive Therapien einen Grossteil der Behandlungen ausmachten, wird heute vermehrt auf aktive Therapien und Mitarbeit der Patient:innen gesetzt. Dabei spielen neue Technologien und evidenzbasierte Praktiken eine fundamentale Rolle für eine effektive Behandlung. Diese werden in den Tarifen für die Physiotherapie aber noch wenig berücksichtigt. So sind die Kosten für digitale Hilfsmittel bisher nicht im Tarif abgebildet und gehen zu Lasten der Therapeut:innen. Dies hemmt einen vermehrten Einsatz solcher Übungsmethoden. Um dem Fortschritt in der Physiotherapie nicht im Weg zu stehen, ist es daher unumgänglich, diese Trainingsmethoden in die Tarife einzubinden», betont Aline Descloux, Vizepräsidentin von Physioswiss, dem Schweizer Physiotherapie-Verband.
Ein gutes Beispiel hierfür ist das Projekt «RecoveryFun» der Hochschule Luzern (HSLU), das VR-Brillen und Gamification für Physiotherapie und Rehabilitation einsetzt.
Als Teil des Projekts «RecoveryFun» haben Forschende der HSLU in einem internationalen Forschungsprojekt mit erfahrenen Praktiker:innen – darunter ZURZACH Care als klinischem Partner – eine digitale Plattform entwickelt. «Wir haben eine niederschwellige Form von körperlichen und kognitiven Übungen kreiert, die jeder an jedem beliebigen Ort durchführen kann. Aus der Praxis wissen wir: Je einfacher das Set-up, umso grösser die Chance, dass das Training auch daheim regelmässig stattfindet», erklärt Prof. Dr. Andrew Paice, Leiter iHomeLab der HSLU.
Der Materialaufwand, um ein Online-Training dieser Art aufzusetzen, hält sich in Grenzen: Eine von der Klinik bereitgestellte VR-Brille mit Datenübertragung, ein Datengateway sowie ein Bio-Sensor am Finger genügen bereits. Das ist die Basisausrüstung für Patient:innen, dazu kommt eine App für Angehörige. Diese haben eine wichtige Rolle beim konsequenten Üben, indem sie auf digitalem Weg die Patient:innen motivieren und bei technischen Schwierigkeiten unterstützen können.
Sobald die Patient:innen zu Hause die VR-Brille aufgesetzt und gestartet haben, werden sie in virtuelle Welten entführt, in denen sie spielerische Übungen, sogenannte Exergames, zur Stärkung der oberen Extremitäten sowie zur Steigerung ihrer kognitiven Fähigkeiten durchführen. Im Exergames «Whack a mole» beispielsweise, gilt es Maulwürfe zu fangen – oder bei «Escape from Alpatraz» geht es darum, aus einem virtuellen alpinen Irrgarten zu entkommen. Andere Spiele bauen auf bekannten Bildwelten wie «Memory», «Basketball» oder «Händeklatschen» auf. Die Übungen unterscheiden sich in ihren Anforderungen und können im Schwierigkeitsgrad angepasst werden.
Eine Kamera, die auf der VR-Brille angebracht ist, filmt die Bewegungen der Patientenhand und blendet diese ins Spielgeschehen ein. Aufgrund von Sensorsignalen können mittels KI-Algorithmen der subjektive Stress und die Ermüdung der trainierenden Patient:innen abgeleitet werden. Sukzessive absolvieren sie je nach ihren Bedürfnissen ihr Programm. Die pseudonymisierten Daten werden – für Dritte nicht dechiffrierbar – in einer gesicherten Cloud abgelegt. «Schwindeln» ist nicht möglich: Das System erkennt via biometrischen Fingerabdruck, falls eine Drittperson anstelle des Betroffenen trainiert haben sollte.
Über eine mehrfach geschützte Leitung kann sich der Therapeut, die Therapeutin bei Bedarf aus der Ferne mit den trainierenden Patient:innen verbinden und so die Übungen exakt auf Fähigkeiten und Bedürfnisse der Betroffenen anpassen. Ebenso kann er die Genauigkeit der Übungsausführung vergleichen und ergänzende Übungen empfehlen.
In den letzten zweieinhalb Jahren wurden rund 70 Patient:innen, 15 Angehörige und über 40 Fachleute in die Testreihe einbezogen. Aus den daraus entstandenen Daten können Expert:innen übergeordnete Muster erkennen bzw. erarbeiten. Das mittelfristige Ziel dieser Big Data-Analyse für Prävention in der Medizin wie auch in der Therapie ist: Mithilfe von KI sollen neue, personalisierte Behandlungs- und Trainingsansätze entwickelt werden, die eine noch bessere Wirksamkeit aufweisen.
Beitragsbild: Therapeut unterstützt via Remote-Zugang den Patienten (Foto: HSLU).