Eine exemplarische Studie in einem Schweizer Spital zeigte, dass 12,3 Prozent der Patient:innen von unerwünschten Ereignissen betroffen waren, fast die Hälfte davon vermeidbar (vgl. Halfon et al., 2017).
Über 60 Prozent dieser Vorfälle hatten keine gravierenden Folgen, fast ein Viertel führte aber zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Ähnliche Ergebnisse finden sich in anderen Gesundheitssystemen, was auf ein universelles Problem hinweist (vgl. Zuellig, 2019).
Just Culture, ein Konzept, das Vertrauen, Verantwortlichkeit und Lernen fördert, bietet eine Möglichkeit, mit Fehlern umzugehen, ohne Angst vor disziplinarischen Massnahmen zu haben. Fehler werden als Chance zur Verbesserung betrachtet, wodurch Prozesse optimiert werden und sich die Patientensicherheit erhöht.
Die Verbindung von Just Culture und der internationalen Norm ISO 9001 zeigt ein hohes Potenzial, den Umgang mit Fehlern und das Qualitätsmanagement zu optimieren. Während das Konzept Just Culture Mitarbeitende dazu ermutigt, Fehler ohne Angst vor Konsequenzen zu melden, schafft ISO 9001 mit systematischen Anforderungen den Rahmen, um bei solchen Vorfällen die Prozesse zu optimieren, diese zu dokumentieren, zu kommunizieren und zu überprüfen.
Beide Ansätze verfolgen ein gemeinsames Ziel: Die kontinuierliche oder fortlaufende Verbesserung. Die ISO 9001 fördert mit ihrem prozessorientierten Ansatz, etwa den PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act), die Analyse von Fehlern und deren Ursachen sowie die Überprüfung der Wirksamkeit von Massnahmen. Die Norm betont auch die Bedeutung, risikobasiert zu denken und unterstützt die Entwicklung von Massnahmen, die nicht nur reaktiv, sondern auch präventiv wirken.
Die Kombination von Just Culture und ISO 9001 schafft eine robuste Qualitätskultur, in der Fehler nicht als individuelles Versagen, sondern als Chance zur Optimierung betrachtet werden. Dies stärkt das Vertrauen im Team, verbessert die Kommunikation und erhöht die Patientensicherheit nachhaltig.
Führungskräfte im Wandel
Fehler passieren, auch wenn noch so sorgfältig gearbeitet wird. Besonders schädigend wirken sie, wenn sie wiederholt und im Verborgenen geschehen. In der Medizin gilt explizit: Je früher ein Fehler erkannt wird, desto eher kann ein Gesundheitsschaden abgewendet oder minimiert werden. Hier setzt die Just Culture an.
In der Just Culture werden Fehler und sicherheitskritische Ereignisse sichtbar gemacht und offen benannt, analysiert und als Lernmöglichkeiten betrachtet, statt sie als Anlass für Schuldzuweisung und Bestrafung zu bezeichnen. Unabdingbar ist eine multidisziplinäre Führungs- und Teamkultur, in der Mitarbeitende psychologische Sicherheit erleben.
Pioniere wie Max Stäubli, der frühere Chefarzt des Spitals Zollikerberg, bekannt als «Mister Komplikationenliste», lebten die Just Culture; sie standen offen zu eigenen Fehlern.¹
Stäubli spürte mit seinem Team in Workshops Fehlerquellen auf. Ihr Fundus war reich, sie entdeckten unter anderem «die Schnittstellen als neuralgische Punkte für Zwischenfälle»:
Stäubli vertrat dezidiert die Ansicht: Nur wenn der Chef den Kulturwandel lebt, akzeptiert ihn das Team. Führungskräfte müssen ihn wollen und vorleben.
Erika Ziltener, Lic.phil.I, Historikerin, Buchautorin, Präsidentin Schweizerische Gesellschaft für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen (sQmh)
1 Das »virtuelle Spital Schweiz« von Max Stäubli, in: Ziltener Erika, Zwischen Sorge, Hoffnung und Vertrauen, Zürich 2023. S. 134ff
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