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21. September 2021

Trend

Gesundheitsforschung

«Neue Herausforderung als Study Nurse»

Auch wegen des Schichtbetriebs und des niedrigen Lohns hat Lukas Ehrsam den Pflegefachberuf verlassen. Der 28-Jährige betont im Interview, dass er nun als Study Nurse in der klinischen Forschung Fuss gefasst hat.
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Sie haben sich nach dem FaGe-Abschluss zum Pflegefachmann weitergebildet. Derzeit sind Sie als Study Nurse, im Einsatz. Was ist darunter zu verstehen?

Ich sehe mich an der Front als Teil von klinischen Studien. Zu meinen Aufgaben gehört es, Studienvisiten mit Probandinnen und Probanden zu organisieren und durchzuführen, um Daten zu erheben. Hinzu kommen Administration und die Nachbereitung der Visiten.

Da haben Sie aber im Vergleich zu früher weniger Kontakt zu Menschen?

Das mag sein, aber als ich als Pflegefachmann HF fünf bis sechs Patientinnen und Patienten im Tandem mit einer FaGe paral­lel betreute, musste ich feststellen, dass wenig Zeit für die Patientinnen und Patienten blieb. Als Pflegefachmann HF verbrachte ich ebenfalls viel Zeit mit Dokumentation und anderen administrativen Arbeiten.

Lukas Ehrsam absolviert zurzeit berufsbegleitend ein Bachelor-Studium für dipl. Pflegefachpersonen. (Foto: Rolf Marti)

An welchen Studien sind Sie beteiligt?

Da ich für die Allgemeine Innere Medizin des Inselspitals Bern tätig bin, ist die Vielfalt an Studien gross. Inhaltlich geht es von COVID-19, Rauchen, Ernährung, Polypharmazie im Alter, bis zum Effekt von Vorhofflimmern auf das Gedächtnis. Dabei begegne ich sehr unterschiedlichen Personen. Diese Abwechslung schätze ich sehr.

Funktion Study Nurse

Study Nurses kommen seit rund 20 Jahren meist in Universitätsspitälern in der klinischen Forschung zum Einsatz. Es handelt sich dabei um keinen festumschriebenen Beruf. Neben Pflegefachleuten HF und FH wachsen auch MPA und FaGe meist ohne spezifische Ausbildung in diese Funktion hinein. Dies obwohl die rechtlichen und ethischen Anforderungen stetig zunehmen.

In der Corona-Immunitas-Studie wird die Ausbreitung und Auswirkung von COVID-19 in der Schweiz erforscht. Welches waren Ihre Aufgaben?

Im Herbst erhielten wir vom Bundesamt für Statistik einen Datensatz mit 2000 Personen im Kanton Bern. Ich war daran beteiligt, diese per Post anzuschreiben, Telefonanrufe entgegenzunehmen, Termine zu vereinbaren und Studienvisiten im Inselspital oder im Studienbus durchzuführen. Zuerst unterzeichnete ich gemeinsam mit den Probandinnen und Probanden die Einwilligungserklärung, was in jeder Studie geschieht. Danach habe ich den Probanden Blut ab­ge­nommen. Um das Resultat brauchbar auszuwerten, beantworteten die Teilnehmenden einen Fragebogen nach der Visite zuhause am Computer. Auf diese Weise absolvierten wir 400 Visiten in ca. drei Monaten mit 200 über 65-Jährigen und 200 unter 65-Jährigen.

Durchführung der Blutentnahme im Rahmen einer Studienvisite für die Corona Immunitas-Studie. (Foto: Mirko Dalla Lana) 

Ihre Ausbildung und ihre jetzige Tätigkeit sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Liegen da nicht gewisse Ihrer Kompetenzen brach?

Bei der ESTxENDS-Rauchstoppstudie beispielsweise bringe ich Pflegekompetenzen ein, indem ich eine Rauchstoppberatung gebe. In dieser Studie unterstützen wir motivierte Personen, die einen Rauchstopp anstreben. Wir untersuchen dabei, die Effektivität, Sicherheit und Verträglichkeit von nikotinhaltigen E-Zigaretten zur Tabakentwöhnung, im Vergleich zu klassischen Nikotin-Ersatzprodukten. Eine solche Stu­dienvisite kann bis zu zwei Stunden dauern.

Fachwissen in der Pflegediagnostik können Sie aber nicht mehr anwenden.

Auch in der Akutpflege konnte ich Pflege­diagnostik, wie beispielsweise die Erkennung von Sturzgefahr und die Erarbeitung von individuellen Lösungen, leider nicht immer in vollem Umfang durchführen. Dies lag meistens am knappen Zeitplan.

War das ein Grund, weshalb Sie die Stationsarbeit aufgegeben haben?

Pull-Faktoren für meinen Entscheid waren, dass Forschung Spass macht und mich interessiert. Gute Forschung kann Nutzen für die Gesellschaft stiften. Schliesst eine Probandin beispielsweise nach zwei Jahren ESTxENDS rauchfrei ab, freut mich dies immer sehr.

Und die Push-Faktoren?

Pflege ist ein sehr schöner Beruf, aber die ständig wechselnden Arbeitszeiten, einmal Frühdienst, dann Nachtdienste, dann zwei bis drei Tage frei, dann wieder Spätdienst, waren teilweise eine Belastung für mich. Jedes Arbeitszeitmodell hat Vor- und Nachteile. Ich persönlich schätze die regelmässigen Arbeitszeiten sehr. Die Verantwortung in der Pflege ist gross. Ein Fehler kann schnell gravierende Folgen haben. Diese Verantwortung ist etwas Schönes, aber sie kann belastend werden – gerade im Zusammenhang mit Stress. Man merkt im Alltag ständig, dass es zu wenige Pflegende gibt. Dies hatte mich teilweise frustriert und ausgelaugt. Es gab Abende, da liess ich mich zu Hause erschöpft auf das Sofa fallen, um ein bis zwei Stunden zu schlafen. An freien Tagen musste ich immer mit einem Anruf von der Station rechnen, um für eine erkrankte Kollegin einzuspringen. Dies führt schnell zu Konflikten zwischen Privatem und der Arbeit. Ich denke auch, dass die Löhne in der Pflege nicht der Verantwortung und Belastung gerecht werden. Ein Ansatz wäre, die Stundenzulagen für Nacht- und Sonntagsarbeit zu erhöhen. Gerade auf der Stufe HF, sind die Löhne in technischen Berufen wesentlich höher als in der Pflege.

Aber jetzt in COVID-19-Zeiten ist das Interesse am Pflegeberuf ja gestiegen…

Wenn in den nächsten fünf Jahren die richtigen Weichen gestellt werden, kann die Zahl der Pflegefachkräfte nachhaltig erhöht werden. Dies ist dringend nötig, ansonsten haben wir in 10 bis 20 Jahren ein grosses Problem. Aufgrund der geburtenstarken Generationen der Babyboomer werden sehr viel mehr Pflegende benötigt. Die Spitäler müssen die neuen, motivierten Pflegenden im Beruf behalten und ihnen Perspektiven bieten.

Aber das kostet!

Die Gesundheitskosten steigen von Jahr zu Jahr. Wir müssen als Gesellschaft über die Kosten und Ansprüche einer guten Gesundheitsversorgung und Pflege diskutieren.