Der Vertragszwang verpflichtet die Krankenversicherer, mit jedem vom Kanton zugelassenen Leistungserbringer – seien es Spitäler und Kliniken oder Arztpraxen – einen Vertrag abzuschliessen. Diese Vorgabe ist die Grundlage für die freie Arzt- und Spitalwahl durch die Bevölkerung und ist im Krankenversicherungsgesetz (KVG) so verankert: Alle Grundversicherten können selbst entscheiden, welchen Leistungserbringer sie auswählen, ohne dass die Krankenkasse diese Wahl einschränkt.
Der Nationalrat entscheidet nun morgen Donnerstag über eine Motion, welche diese Entscheidungsfreiheit einschränken soll und für Unsicherheit im gesamten Gesundheitssystem sorgen würde. Die Spitäler und Kliniken warnen vor einer Annahme und rufen den Nationalrat dazu auf, den Entscheid des Ständerats zu korrigieren und die Motion abzulehnen.
Die Lockerung des Vertragszwangs würde in erster Linie einen erheblichen administrativen Mehraufwand für alle Beteiligten bedeuten. Mehr Bürokratie führt zwangsläufig zu höheren Kosten und weniger Effizienz. Das Gesundheitswesen ist ohnehin bereits unter hohem finanziellem und personellem Druck. Gerade Spitäler und Kliniken müssen bereits jetzt laufend neue administrative Vorgaben von Seiten der Politik und der Versicherer erfüllen.
Statt dass sich die Gesundheitsfachpersonen ihrer eigentlichen Arbeit bei den Patient:innen widmen können, würde mit einer Abschaffung des Vertragszwangs noch mehr Bürokratie geschaffen – ohne Nutzen für die Patient:innen oder Prämienzahlenden.
Im schweizerischen System sind die Kantone für die Spitalplanung zuständig. Wenn nun die Krankenversicherer jeweils selbst festlegen, mit welchen Leistungserbringern sie zusammenarbeiten wollen, wird eine parallele Planung durch die Krankenversicherer geschaffen. Dies würde deren Einfluss ausweiten und die Gefahr einer Risikoselektion durch Versicherer verstärken. Es besteht die reale Gefahr, dass Verträge vor allem mit günstigen Leistungserbringern abgeschlossen werden, ohne dabei die Qualität der Versorgung oder das Patientenkollektiv zu berücksichtigen.
Die Leidtragendenden wären vor allem Patient:innen mit chronischen Krankheiten. Viele wären gezwungen, einen neuen, dem Versicherer genehmen, Leistungserbringer zu suchen. Die so verursachten Therapieunterbrüche wären riskant, insbesondere wenn wegen des Fachkräftemangels keine unmittelbare Fortsetzung der Behandlung möglich ist. Die Lockerung des Vertragszwangs gefährdet somit die gute medizinische Versorgung der Schweizer Bevölkerung.
Die Spitäler und Kliniken sprechen sich durchaus für einen regulierten Wettbewerb im Gesundheitswesen aus. Dieser muss aber fair und mit klaren Anreizen ausgestaltet werden. Eine einseitige Lockerung des Vertragszwangs, mit dem nur die Versicherer, nicht aber die Leistungserbringer von diesem befreit werden, widerspricht diesen Forderungen. Wenn der Vertragszwang aufgehoben werden soll, dann müsste dies für die Versicherer und Leistungserbringern in gleichem Masse gelten.
Beitragsbild: Das Bundeshaus im Winter (Foto: H+)