Aktuelles
Competence Readtime6 min
7. November 2024

Exklusiv-Interview

Esther Friedli und Ursula Zybach ziehen bei EFAS an einem Strang

«Mit der einheitlichen Finanzierung (EFAS) kommt es nicht mehr darauf an, wer welche Leistungen bezahlt. Vielmehr steht das Wohl der Patient:innen im Zentrum», sagt Ständerätin Esther Friedli (SVP/SG). «Zudem fördert die Vorlage die Koordination zwischen den Leistungserbringern und entlastet allgemein das Pflegepersonal», ergänzt Nationalrätin Ursula Zybach (SP/BE). 
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Weshalb ist eine Vereinheitlichung des Finanzierungsschlüssels nötig?

Ständerätin Esther Friedli (SVP/St.Gallen)

Esther Friedli (ES): Die Kantone finanzieren heute mehrheitlich die stationäre Versorgung und die Krankenkassen via Prämien die ambulanten Leistungen. Dies führt zu Fehlanreizen, die dringend behoben werden müssen. Eine einheitliche Finanzierung (EFAS) ermöglicht eine Finanzierung aus einem Guss, so dass es nicht mehr darauf ankommt, wer welche Leistungen bezahlt. Hingegen steht die Qualität der Versorgung und die Gesundheit der Patient:innen im Zentrum.

Nationalrätin Ursula Zybach (SP/Bern)

Ursula Zybach (UZ): In der Pflege ist derzeit die Finanzierung sehr uneinheitlich, abhängig davon, in welchem Kanton oder in welcher Gemeinde die versicherte Person wohnt. Versicherer drängen oft auf einen Eintritt ins Pflegeheim, weil dieser aus ihrer Optik kostengünstiger als die ambulante Pflege zu Hause mit der Spitex ist. Dies führt zu frühzeitigen Heimeintritten, die dem Gesamtsystem teuer zu stehen kommen und auch für die Patient:innen nicht die optimale Lösung sind. Wenn es nun aber für die Finanzierer keine Rolle spielt, wohin ein Patient überwiesen wird, kann gemeinsam ein optimaler Entscheid für die Gesundheit und Lebensqualität des Patienten, der Patientin getroffen werden.

Welche konkreten Folgen hat diese eher technische Vorlage?

UZ: Die Vorlage ist sehr konkret. Die einheitliche Finanzierung fördert die Umlagerung der Versorgung in kostengünstigere Bereiche, was sich kostendämpfend auswirken wird. Die Wahl der Behandlungsform erfolgt zum Wohl der Patient:innen. Die Prämienzahlenden werden entlastet, weil einerseits die günstigere Versorgungsform gewählt wird und sich andererseits die Kantone an allen Leistungen beteiligen. Zudem fördert die Vorlage die Koordination zwischen den Leistungserbringern.

ES: Mir ist es wichtig zu ergänzen, dass EFAS auch die Rolle der Hausärzt:innen stärkt, weil sie aufgrund der gestärkten integrierten Versorgung freier als bisher und stärker zum Wohl der Patienten:innen Empfehlungen machen können.

In den letzten Jahrzehnten hatten es Reformen in der Gesundheitspolitik sehr schwer. Wie ist es gelungen, dass diese Vorlage in den Parteien und den Gesundheitsorganisationen so breit abgestützt ist?

EF: Es ist über alle Parteigrenzen hinweg und zusammen mit den Leistungserbringern, Kantonen und den Versicherungen gelungen, eine Lösung zu finden – ein Beweis dafür, dass die Politik zu Gesundheitsreformen in der Lage ist. Der Ständerat unterstützte die Vorlage grossmehrheitlich, auch weil die Kantone gut in die Vorlage eingebunden wurden.

«Bei Kritiker:innen von EFAS ist der Eindruck entstanden, dass sich die Kantone in der Langzeitpflege aus der Verantwortung schleichen wollen. Dabei geht aber vergessen, dass die Kantone sich neu auch am grössten Kostenblock, am ambulanten Sektor, beteiligen.

Ursula Zybach

UZ: Im Nationalrat haben sich insbesondere die Gesundheitspolitiker:innen durchgesetzt. Die Vorlage zum Fliegen gebracht hat aus meiner Sicht der Einbezug der Pflege und somit die Unterstützung der Kantone. Bei den Kritiker:innen ist nun aber der Eindruck entstanden, dass sich die Kantone aus der Verantwortung schleichen wollen, da sie mit der einheitlichen Finanzierung im Langzeitbereich anteilsmässig etwas weniger bezahlen als bisher. Allerdings geht dabei vergessen, dass sich die Kantone an den Gesamtkosten insgesamt stärker beteiligen – dies aufgrund der Relation zwischen den einzelnen Kostenblöcken. Neu beteiligen sich die Kantone ebenfalls am ambulanten Sektor, der mit rund 23 Milliarden im Vergleich zur Langzeitpflege mit 6 Milliarden den grössten Kostenblock darstellt. Das kommt in der Debatte zur einheitlichen Finanzierung aber viel zu wenig zur Sprache.

Wir haben mit EFAS zum Ziel, dass ältere Menschen länger zu Hause leben können. Dadurch werden die Kosten der Langzeitpflege weniger stark als vermutet ansteigen.

Esther Friedli

EF: Und auch wenn die Kosten der Langzeitpflege aufgrund des demografischen Wandels künftig steigen werden, wird dieser Kostenblock auch weiterhin in keinem Verhältnis zum ambulanten Bereich stehen. Zudem haben wir mit EFAS genau zum Ziel, dass ältere Menschen länger zu Hause leben können, bei Bedarf mit der Unterstützung der Spitex. Genau dadurch werden die Kosten der Langzeitpflege in der Konsequenz weniger stark ansteigen, als dies aktuell vermutet wird. Hier scheinen mir die Argumente der Gegnerschaft wenig stringent zu sein.

Die Reform soll vor allem die Ambulantisierung fördern. Welche Vorteile bringt es für die Bevölkerung, wenn mehr ambulant statt stationär behandelt wird?

UZ: Dank dem medizinischen Fortschritt können heute Operationen viel schonender durchgeführt werden. Ambulante Leistungen entlasten die Prämienzahlenden, weil sie angenehmer und kostengünstiger sind.

Welche Auswirkungen auf die Krankenkassen-Prämien hat es, wenn mehr ambulant behandelt wird?

EF: Mehr kostengünstigere ambulante Eingriffe werden eine dämpfende Wirkung auf die Prämien haben. In der Schweiz führen wir im internationalen Vergleich eine überdurchschnittliche Zahl an Eingriffen immer noch stationär durch. Bei der Ambulantisierung gibt es also noch Luft nach oben, wobei natürlich nicht jeder Eingriff ambulant durchgeführt werden kann.

Können durch die einheitliche Finanzierung Einsparungen im Gesundheitssystem erzielt werden? Wenn ja, in welchem Umfang?

UZ: Berechnungen zeigen, dass mit dieser Reform jährlich 440 Millionen eingespart werden können, wobei es eine Rolle spielen wird, wie stark die Verlagerung von stationär zu ambulant tatsächlich gelingen wird.

Nun müssen sie sich die Kantone auch im ambulanten Bereich mit über einem Viertel beteiligen. Dies bezieht die Kantone stärker in das Gesamtsystem ein. 

Esther Friedli

Werden die Kantone durch die neue Finanzierung stärker belastet als bisher? Welche Folgen könnte das haben?

EF: Die Kantone werden neu anders in die Finanzierung eingebunden. Die Entwicklung von stationär zu ambulant findet bereits seit längerem statt. Das war in den letzten Jahren ein Faktor dafür, dass die Prämien überdurchschnittlich gestiegen sind und daran haben sich die Kantone überhaupt nicht beteiligt. Nun müssen sie sich auch im ambulanten Bereich mit über einem Viertel beteiligen. Dies bezieht die Kantone stärker in das Gesamtsystem ein. Ferner haben die Kantone gefordert, dass sie nicht nur bezahlen, sondern auch Zugang zu den Daten haben. Dies stärkt das Miteinander zwischen Versicherern und Kantonen.

Ambulantisierung entlastet allgemein das Pflegepersonal.

Ursula Zybach

Was bedeutet EFAS für das Personal im Gesundheitswesen?

UZ: In der Langzeitpflege wird es endlich einen eigenen Tarif geben und die Langzeitpflegenden sind dadurch auf Augenhöhe mit anderen Leistungserbringern unterwegs. Wenn ferner unnötige Spitalübernachtungen zurückgehen, kann das Personal der Kurzzeitpflege gezielter als bisher eingesetzt werden. Es werden Ressourcen für Patient:innen frei, die wirklich stationäre Betreuung benötigen – in der Nacht und am Wochenende. Die Arbeitszeiten in Ambulatorien sind angenehmer und die Konditionen verbessern sich insgesamt. Ambulantisierung bedeutet also im Allgemeinen eine Entlastung des Pflegepersonals.

Beitragsbild: Spitex Schweiz/KEYSTONE/Gaëtan Bally

   

Bleiben Sie informiert über aktuelle Themen mit unserem monatlichen Newsletter