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10. September 2024

Interview

«Die Implementierung und die internen Schulungen werden viel Zeit in Anspruch nehmen»

Der Tarifmanager des Universitätsspitals Zürich, Michael Ebert, gibt in einem Interview Auskunft darüber, wie er sein Team und das Spital ab Sommer 2023 auf das neue ambulante Tarifsystem vorbereitet hat. Auch erzählt er, welche Arbeiten bis zur Einführung am 1. Januar 2026 noch anstehen.
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Herr Ebert, der Bundesrat hat im Juni 2024 einen wegweisenden Entscheid zu den ambulanten ärztlichen Tarifstrukturen (ambulante Pauschalen und TARDOC) gefällt. Wie bewerten Sie diesen Entscheid?

Tarifmanager USZ
Michael Ebert, Tarifmanager USZ

Es handelt sich aus meiner Sicht um einen klassischen Schweizer Kompromiss. Denn mit dem neuen kohärenten Tarifsystem werden zwei Tarifstrukturen kombiniert, die diametral unterschiedlich funktionieren. Der Bundesrat trägt dem politischen Willen Rechnung, Pauschalen im ambulanten Sektor zu fördern. Und er anerkennt die Sachgerechtigkeit des TARDOC und den Aufwand der ats-tms AG bei der Entwicklung.

Uns war rasch klar, dass wir ein grosses Projekt aufziehen müssen, weil die Implementierung von neuen ambulanten Tarifen alternativlos ist.

Inwiefern hat der bundesrätliche Entscheid Klarheit geschafft? 

Wir Leistungserbringer wissen seither, dass ab Januar 2026 ein kohärentes Gesamtsystem eingeführt wird. Allerspätestens mit diesem Entscheid muss jetzt allen klar sein, dass kein Weg mehr daran vorbeiführt, dieses Projekt umzusetzen. 

Welche Änderungen wird das neue Tarifsystem für die Patient:innen bringen? 

In der Patienten-Ärzte-Beziehung sollte sich grundsätzlich nichts ändern. Eine medizinisch notwendige Leistung muss immer unabhängig vom Tarifsystem erbracht werden. Im Idealfall können mit dem System Fehlanreize minimiert werden. Was sicherlich notwendig sein wird, ist eine gute Vorinformation der Patient:innen, weshalb sie bei ambulanten Leistungen entweder eine komplexe Rechnung mit vielen Zeilen oder aber eine Rechnung mit nur einer Zeile als Pauschale erhalten werden. 

Unser Motto hiess zuerst «Denken in Szenarien», was nicht immer einfach zu kommunizieren war. 

Wie bereiten Sie Ihr Team und das Spital auf die Umstellung auf das neue ambulante Tarifsystem vor? 

Unser Motto hiess zuerst «Denken in Szenarien», was nicht immer einfach zu kommunizieren war. Denn bis zum Bundesratsentscheid im Juni 2024 bestand zumindest die Möglichkeit, dass der TARDOC, der das gesamte Leistungsspektrum abbildet, zuerst eingeführt wird und danach die ambulanten Pauschalen. Uns war rasch klar, dass wir ein grosses Projekt aufziehen müssen, weil die Implementierung von neuen ambulanten Tarifen alternativlos ist. Daher haben wir im Sommer 2023 das Grossprojekt frühzeitig gestartet und dieses in der Spitaldirektion bei der Unternehmensentwicklung angesiedelt.

Wer alles war und ist am Projekt beteiligt?

Dies mussten wir zuerst herausfinden. Wir analysierten, welche Bereiche, Systeme, Prozesse und Schnittstellen von der Tarifumstellung betroffen sind. Bei den Involvierten handelt es sich nicht nur um Verantwortliche in der Fakturierung und Leistungsübermittlung, sondern auch um Ärzt:innen und nichtärztliche Fachpersonen in den Kliniken. Betroffen sind auch die Bereiche ICT, Hinterlegung von Stammdaten und die Übermittlung an Schnittstellen, bei denen jeweils Software von verschiedenen Anbietern eingesetzt wird. 

Wie kann man sich eine solche Schnittstelle vorstellen? 

Leistungsdaten – zum Beispiel eines Röntgenbilds oder eines CTs – werden im sogenannten Umsystem der Radiologie erfasst und dokumentiert. An den genannten Schnittstellen werden diese Leistungsdaten vom Umsystem an das ERP-Hauptsystem übermittelt. Es war daher wichtig zu prüfen, ob diese Schnittstellen die Anforderungen erfüllen, die ein neues Tarifsystem mit sich bringt und zu entscheiden, sie bei Bedarf frühzeitig anzupassen oder neue Software-Komponenten zu implementieren. 

Müssen Sie für den Systemwechsel Ihre Systeme auf den Kopf stellen?  

Den Wechsel werden wir im USZ grundsätzlich mit den bestehenden Systemen bewältigen können. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Umstellung sehr aufwändig sein wird. Anpassungen werden bei uns innerhalb der Systeme speziell an den Schnittstellen sowie zur Integration des Groupers¹ notwendig sein. 

Die Planung und Durchführung der internen Schulungen wird viel Zeit in Anspruch nehmen. 

Welche weiteren Arbeiten haben sie bereits umgesetzt? 

Wir haben für TARDOC und die Pauschalen mit heutigen realen Leistungskennzahlen simuliert, was in der neuen Welt herauskommen würde und wie viele Pauschalen sich pro Fachklinik anteilig ergeben. Betreffend Fall-Management sind wir vorläufig zum Schluss gekommen, dass wir die Fallführung mit einem administrativen Fall je Fachklinik auch nach Einführung der kohärenten Tarifstruktur beibehalten können. Auch haben wir analysiert, wie gut die Datenqualität bei der Diagnoseerfassung aktuell in der Praxis ist. Wir prüfen nun, zu welchem Zeitpunkt und an welcher Stelle im Leistungsprozess wir künftig die Diagnosen benötigen. 

Welche Massnahmen sind noch in Planung? 

Hierzu kann ich vereinfachend drei Punkte nennen: In Planung sind noch alle Attribute und Anforderungen für die Kostenträgerrechnung – inklusive Reportings und das Medizincontrolling –, die Leistungserfassung sowie die internen Schulungen. Die Planung und Durchführung der Schulungen wird viel Zeit in Anspruch nehmen.  

Wir Leistungserbringer wünschen uns einen ambulanten Tarif, der eindeutig ist, mit Anwendungsregeln, die möglichst wenig Raum für Interpretation lassen.

Wie wird das neue System die administrativen Prozesse und die Zusammenarbeit mit den Kostenträgern beeinflussen? 

Wir erhoffen uns durch klare Regeln ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen Leistungserbringern und Versicherern. Dies ist dringend notwendig, damit die aktuell ausufernden Nachfragen und Rechnungsrückweisungen bzw. unnötige administrative Aufwände in Zukunft deutlich reduziert werden können. So kann eine Automatisierung wieder zu mehr Vertrauen zwischen den Akteuren führen. Wir Leistungserbringer wünschen uns daher einen ambulanten Tarif, der eindeutig ist, mit Anwendungsregeln, die möglichst wenig Raum für Interpretation zulassen. 

Schulungen bei H+ Bildung

Ab November 2024 bietet H+ Bildung dreitägige Kurse zum kohärenten Tarifsystem an.

1Software-Programm, das es im klinischen Alltag v. a. zum Zwecke der Abrechnung ermöglicht, Patient:innen in Fallgruppen einzuordnen und dadurch das Entgelt der medizinischen Leistungen zu ermitteln.

Beitragsbild: USZ