In welchen zentralen Aspekten kann die Schweiz vom dänischen und deutschen Gesundheitssystem lernen und was können sich diese beiden Länder von der Schweiz abgucken? Prof. Dr. med. Jörg Felix Debatin und Ole Thomsen äussern sich hier zu dieser Fragestellung. Sie waren Referenten am Podium, das H+ im November 2024 anschliessend an die Generalversammlung organisiert hatte.
Der ausgebildete Radiologe Prof. Dr. med. Jörg F. Debatin leitete einst den health innovation hub des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) in Berlin. Er stellt fest, dass die deutschen Krankenhäuser unter enormem Veränderungsdruck stehen: «Neben den bekannten strukturellen Problemen mit zu vielen kleinen Krankenhäusern, ist die Nachfrage gesunken.» So lag die Krankenhaus-Leistungsnachfrage 2023 mehr als zehn Prozent unter dem Niveau von 2019.
«Die Schweizer Spitäler sollten ihr im Vergleich zu Deutschland besser entwickeltes ambulantes Angebot weiter ausbauen.»
Prof. Dr. med. Jörg Debatin
Die Lösungsansätze der deutschen Politik zielen laut Debatin auf eine Konzentration von Krankenhausleistungen ab, was zwangsläufig zu schmerzhaften Einschnitten, gerade im ländlichen Bereich führt. Die Schweiz könne daraus insbesondere Folgendes lernen: «Spitäler und Kliniken sollten ihr im Vergleich zu Deutschland ohnehin bereits besser entwickeltes ambulantes Leistungsangebot weiter ausbauen».
Ole Thomsen ist studierter Sozialwissenschaftler und hat während fast 30 Jahren im Gesundheitswesen gearbeitet, unter anderem als Krankenhausdirektor in Dänemark. Derzeit ist er Direktor bei PWC Dänemark. Er betont, dass das dänische Gesundheitssystem unter Druck steht in Bezug auf seine Fähigkeit, Personal zu rekrutieren und im Beruf bzw. in den Betrieben zu halten. Dies werde sich in Zukunft auch nicht ändern.
Das dänische System fokussiert mit reduziertem Personalaufwand auf die wichtigsten Leistungen.
Ole Thomsen
Nicht zuletzt deshalb konzentriert sich das dänische System stark darauf, nur die wichtigsten Leistungen zu erbringen, und zwar mit einem reduzierten Einsatz von Personalressourcen. Das Vergütungssystem fördert diesen Fokus, indem es kurze Wartezeiten belohnt.
Wie belohnt das dänische System kurze Wartezeiten?
Wenn Patient:innen in einem öffentlichen Spital nach der Überweisung länger als zwei Monate auf einen medizinischen Eingriff warten müssen, können sie hierfür gratis ein privates Spital auswählen. Die dort anfallenden Kosten müssen fallweise die Regionen, die öffentlichen Spitäler oder die klinischen Abteilungen übernehmen, welche die Patient:innen zu lange haben warten lassen.
Das Ergebnis ist ein Rückgang der Zahl stationärer Aufenthalte – sogar komplexe chirurgische Eingriffe werden ambulant durchgeführt, und die Zahl der Notfalleinweisungen beginnt aufgrund der besseren Zusammenarbeit zwischen den Sektoren zu sinken. Patient Reported Outcome-Measures (PROMs) werden als eine Basis für die Triage verwendet, so dass einige dänische Krankenhäuser auch die Zahl der ambulanten Fälle reduzieren konnten. Es ist in Dänemark laut Thomsen jedoch noch ein langer Weg zu gehen.
Jörg F. Debatin seinerseits stellt fest, dass auch die Schweizer Spitäler unter Druck stehen. Dennoch gibt es aus seiner Sicht einige Stärken von denen Deutschland lernen könnte: «So wurden in der Schweiz die Investitionen in die DRG-Pauschalen integriert. Leider war das in Deutschland nicht der Fall. Deshalb besteht in Deutschland ein enormer Investitionsstau. Auch vom konsequenteren Ausbau ambulanter Leistungsangebote in Schweizer Spitälern können deutsche Krankenhäuser lernen.»
Beide Systeme leiden aus seiner Sicht unter erheblichen Fehlnutzungen der Krankenhaus-Notfallabteilungen. Hier könne Deutschland insbesondere vom Schweizer Permanence-Versorgungsmodell, einer Art Walk-In-Notfallpraxis, lernen.
Ole Thomsen betont, dass sich die Schweizer Bevölkerung verglichen mit anderen OECD-Ländern in einem sehr guten Gesundheitszustand befinde. Das zeige sich bei allen vier Variablen, die von der OECD verwendet werden, und die Schweiz sei die Nummer 1 beim sehr wichtigen Indikator «vermeidbare Sterblichkeit». Dies sei wohl auf einen gesunden Lebensstil, aber auch auf eine gut funktionierende Gesundheitsversorgung zurückzuführen.
Die Bevölkerung der Schweiz ist aus Sicht des Dänen eine der zufriedensten mit ihrem Gesundheitssystem, insbesondere in Bezug auf die Bewertung der Qualität und des Zugangs zu den angebotenen Leistungen und er fügt an: «Ich bin beeindruckt vom starken Fokus der Schweiz auf die Rehabilitation, der ausgeprägter zu sein scheint als in Dänemark, insbesondere auch in der Forschung.»
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