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13. Februar 2024

BACKGROUND

Psychologische Psychotherapie

Auch schwerkranke Menschen weiterhin gut betreuen

«Das mit dem neuen Anordnungsmodell angestrebte Ziel, die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung zu verbessern, ist bei schwerkranken Menschen bisher verfehlt worden», sagt Dr. phil. Christoph Stucki, leitender Psychologe der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD).
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Herr Stucki, am 1. Juli 2022 trat in der psychologischen Psychotherapie das Anordnungsmodell in Kraft. Welches sind aus Ihrer Sicht erste Learnings, seit nun dieses neue Modell und nicht mehr das Delegationsmodell zur Anwendung kommt?

Das Ziel des BAG war es, mit dem Modellwechsel die Versorgung mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungen zu verbessern. Insbesondere hinsichtlich Kriseninterventionen und der Behandlung von schwerkranken Menschen konnte dieses Ziel aber noch nicht erreicht werden. Es besteht nach wie vor grosser Handlungsbedarf.

Dr. phil. Christoph Stucki in seinem Büro (Foto: M. Greiter).

Was führt Sie zu dieser Einschätzung?

Einerseits übersteigt der Bedarf an ambulanten Behandlungsplätzen weiterhin das Angebot. So ist es nicht einfacher geworden, Menschen, die bei uns stationär behandelt wurden, extern an niedergelassene Psycholog:innen bzw. Psychiater:innen zu überweisen.

Und andererseits?

Das Anordnungsmodell ist so konzipiert, dass 15 Therapiesitzungen auf ärztliche Anordnung erfolgen. Danach müssen die psychologischen Psychotherapeut:innen einen Antrag für weitere 15 Sitzungen stellen. Nach 30 Sitzungen müssen sie, inklusive einem psychiatrischen Bericht, eine Kostengutsprache für weitere Sitzungen bei den Krankenkassen beantragen.

Was genau ist das Problem?

Das Modell ist auf kurze Behandlungen ausgerichtet und bei leicht- und mittelgradig kranken Menschen ist es sicher sinnvoll, dass darauf geachtet wird, die Behandlungen wirksam und gleichzeitig effizient durchzuführen und abzuschliessen, wozu wir Behandelnde auch verpflichtet sind. Je länger die Behandlung aber dauert, desto höher ist auch der administrative Aufwand, insbesondere bei psychisch schwerkranken Menschen. Besonders für Patient:innen, die mehr als 30 Sitzungen benötigen, ist dieser Aufwand mit dem neuen Modell klar angestiegen, welches leider keine Anreize schafft, schwer- und chronischkranke Menschen zu behandeln. Genau diese Patientengruppe ist aber seit jeher stark in unseren Spitalambulatorien vertreten, auch weil sie es schwer hatte und nach wie vor schwer hat, extern Therapieplätze zu finden.

Besonders für Patient:innen, die mehr als 30 Sitzungen benötigen, ist der administrative Aufwand mit dem neuen Modell klar angestiegen, welches leider keine Anreize schafft, schwer- und chronischkranke Menschen zu behandeln.

Geht es nur um bürokratische Hindernisse?

Nein, es geht auch darum, dass die Tarifstruktur gerade im ambulanten Bereich seit Längerem die Realität nicht genügend abbildet. Psychisch Schwerkranke sind oft lebenslang von Erkrankungen betroffen, zusätzlich somatisch krank, befinden sich manchmal in sehr prekären Lebenssituationen ohne Tagesstruktur. Häufig ist das Ziel, ihre Situation zu stabilisieren, Suizidalität und Hospitalisationen zu vermeiden, nicht aber sie zu heilen. Sie benötigen ein interdisziplinäres Team, das sie betreut. Der Koordinationsaufwand ist gross und wird heute aber unzureichend abgegolten.

Und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie?

Bei Jugendlichen und Kindern ist der Koordinationsaufwand häufig noch grösser, weil auch die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten, aber auch das Umfeld, beispielsweise die Schule, einbezogen werden müssen. Aufgrund des Alters des Kindes oder der psychischen Verfassung sind teilweise Sitzungen notwendig, die nur mit den Eltern durchgeführt werden. Die Abgeltung solcher Sitzungen ist in der aktuell geltenden Übergangstarifstruktur noch nicht abgebildet.

Wichtige Kurzkontakte mit Schwerkranken sind im aktuellen Modell nicht ausreichend abgebildet.

Gibt es weitere Probleme bei der Umsetzung des Anordnungsmodells?

Bei psychisch schwerkranken Menschen, die ambulant behandelt werden, sind häufig Kurzinterventionen notwendig, auch weil diese Patient:innen oftmals nicht in der Lage sind, längere Therapiesitzungen durchzustehen, oder weil häufig Krisensituationen entstehen. Sie benötigen neben den Therapiesitzungen im engeren Sinne oft kurze Gespräche, Telefonate oder einen kurzen Austausch per Mail mit dem Psychiater bzw. der Psychologin. Solche für die Behandlungskontinuität und Sicherheit wichtigen Kurzkontakte werden im aktuellen Modell nicht ausreichend abgegolten.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Psychiater:innen und Psycholog:innen seitdem das Delegationsmodell nicht mehr in Kraft ist?

Weil wir ein akut- bzw. schwerkrankes Klientel haben, sind wir seit jeher darauf angewiesen, interdisziplinär eng zusammenzuarbeiten. Daran hat sich mit dem neuen Modell sowohl in der Erwachsenen- als auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nichts geändert. Unsere Patient:innen brauchen im Unterschied zu vielen Patient:innen der niedergelassenen Psycholog:innen im Regelfall eine Kombination von psychotherapeutischer und medikamentöser Therapie.

Weil wir ein akut- bzw. schwerkrankes Klientel haben, sind wir seit jeher darauf angewiesen, interdisziplinär eng zusammenzuarbeiten.

Welches sind die grössten Herausforderungen, die Einfluss auf die Zusammenarbeit haben?

Zum einen der Fachkräftemangel bei den Pflegefachpersonen und bei den Ärzt:innen. Wir erhalten aber auch bei den Psycholog:innen immer weniger Bewerbungen und wir hatten Abgänge von Fachpsycholog:innen, seit das Anordnungsmodell in Kraft ist. Die bei uns tätigen Psychiater:innen haben viele Aufgaben in der medikamentösen Therapie von akut-psychiatrischen Fällen. Dadurch können sie immer weniger psychotherapeutisch tätig sein. Daher ist der Beitrag der Psycholog:innen unabdingbar.

Ihre Rolle soll ja auch gestärkt werden.

So ist es. Umgekehrt hat sich auch der Beruf der Psycholog:innen in den Spitälern aufgrund des Ärztemangels verändert. Sie arbeiten nicht mehr nur psychotherapeutisch im engeren Sinne. Die Zusammenarbeit zwischen Psycholog:innen und Psychiater:innen ist viel verzahnter als vor einigen Jahren. Mittlerweile sind psychologische Psychotherapeut:innen auch auf Akutstationen, in der Notfallversorgung und in der Krisenintervention tätig, was im neuen Anordnungsmodell nicht ausreichend berücksichtigt ist.

Es ist zentral, Anreize zu schaffen, damit wir zur Vermeidung von zusätzlichen Gesundheitskosten auch Schwer- und Chronischkranke gut behandeln können und nicht nur leicht und mittelgradig kranke Menschen.

Welches sind wichtige Wünsche für die Zukunft?

Es ist zentral, Anreize zu schaffen, damit wir zur Vermeidung von zusätzlichen Gesundheitskosten auch Schwer- und Chronischkranke gut behandeln können und nicht nur leicht und mittelgradig kranke Menschen. Die Tarifstruktur und Leistungsabgeltung gilt es entsprechend auszugestalten. Allerdings trägt das aktuelle Tarifmodell den hohen strukturellen Kosten, die in Spitälern anfallen, bei weitem nicht Rechnung. Ebenfalls nicht abgegolten werden die umfangreichen Ausbildungsleistungen für Psycholog:innen in Weiterbildung, die in den Spitälern erbracht werden. Insgesamt positiv zu bewerten ist aber die Tatsache, dass mit der Einführung des Anordnungsmodells die Wichtigkeit der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung deutlich anerkannt wurde.

Beitragsbild: Canva.com

   

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