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14. November 2025

Frühchen & Neokinder Schweiz

Dina Hediger: Vorbildlicher Einsatz – grosse Wirkung

Die von der diesjährigen Prix Sana Preisträgerin Dina Hediger gegründete Selbsthilfeorganisation Frühchen & Neokinder Schweiz kann als Vorbild für ähnliche Organisationen dienen – von Anfang an mit interdisziplinärer Expertise, spitalübergreifend organisiert und dadurch wirkungsvoll.
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Frau Hediger, Ihre Zwillinge kamen zu früh auf die Welt und verbrachten 110 Tage auf der Neonatologie. Gibt es zentrale Bedürfnisse, denen Sie und die mittlerweile 90 freiwilligen Peer-Eltern Ihrer Selbsthilfeorganisation Frühchen & Neokinder Schweiz oft begegnen?

Das Thema Verlust ist bei den betroffenen Eltern ein grosses Thema sowie mögliche Komplikationen. Dann aber u.a. auch die Fragen, wie wir als Eltern den früheren Schicksalsschlag verarbeitet haben, wie es unseren Kindern heute geht und ob wir danach noch weitere Kinder hatten.

Prix Sana Film von Simona Specker

Wie kam es zu Ihrem Engagement?

Es begann während meiner Zeit auf der Neonatologie, indem ich nach mir eingetroffenen Eltern einen Erfahrungsaustausch anbot. Als unsere Zwillinge einjährig waren, wurde ich vom Inselspital angefragt, am Pflegetag die Elternperspektive einzubringen und danach auch in weiteren Institutionen. Das war sehr befriedigend, weil ich spürte, dass meine Inputs geschätzt wurden. Vor rund drei Jahren haben ich den Aufbau einer Anlaufstelle für Eltern initiiert, die ich mir selbst auch gewünscht hätte. Es ist mir aber wichtig zu betonen, dass es ohne die vielen Mitengagierten nicht funktioniert hätte.

Besonders erfreulich ist es für uns, wenn Fachpersonen darauf hinweisen, dass sie aufgrund unserer Arbeit vermehrt spitalübergreifend zusammenarbeiten.

Sie helfen mit Ihrer Arbeit auch dem Spitalpersonal, die Frühchen und ihre Familien zu betreuen. Welche Verbesserungen konnten Sie schon anstossen?

Oftmals werden wir direkt in Teamsitzungen einbezogen, wenn es darum geht, Abläufe mit den Familien zu verbessern. Auch bei Forschungsanträgen von Spitälern werden wir angefragt zu kooperieren. Besonders erfreulich ist es für uns, wenn Fachpersonen darauf hinweisen, dass sie aufgrund unserer Arbeit vermehrt spitalübergreifend zusammenarbeiten.

Wir machen stets auf Unterschiede aufmerksam – wenn in Basel schon ein Angebot für Eltern besteht, warum nicht auch in Bern?

Wie ist das möglich?

Unser 19-köpfiges Team von Fachexpert:innen ist seit Beginn interdisziplinär und aus verschiedenen Spitälern zusammengesetzt – von der Pflegefachperson bis zur Sozialberaterin. Wir haben stets auf Unterschiede aufmerksam gemacht – wenn in Basel schon ein Angebot für Eltern besteht, warum nicht auch in Bern? Und nun wird unsere Organisation am 17. November, am Weltfrühgeborenen-Tag, einen nationalen Anlass am Kantonsspital Aarau zur schweizweiten Vernetzung durchführen.

Ihre Organisation könnte als Vorbild für weitere Organisationen dienen!

Aktuell tausche ich mich noch nicht oft mit anderen Organisationen aus, aber der Chefarzt der Kinderklinik Bern hat mich neulich dazu eingeladen, einen Vortrag zu halten über die Arbeitsweise unserer Organisation, dies bei einem Anlass, der sich an alle Patientenorganisationen im Umfeld der Kinderklinik richtet. 

In welchen Bereichen besteht aus Ihrer Sicht noch der grösste Handlungsbedarf?

National sehe ich zwei grössere Themenfelder mit Optimierungsbedarf. Einerseits handelt es sich um die familienintegrierte und interdisziplinäre Betreuung auf der Neonatologie, die schon gut erforscht ist und in Kanada und Skandinavien in der Praxis umgesetzt wird. Zu diesem Thema haben wir ein Forschungsprojekt aufgegleist und u.a. mit Prof. Dr. med. Cornelia Hagmann, Abteilungsleiterin Neonatologie des Universitäts-Kinderspitals Zürich, eine Arbeitsgruppe gebildet.

«Ohne die vielen Mitengagierten wäre das alles nicht möglich gewesen», sagt die Prix Sana Preisträgerin Dina Hediger. (Foto: Fondation Sana)

Mit welchen Zielen?

Ziel ist es zum einen, bis 2026 die IST-Situation zu erfassen darüber, was jedes Spital im Bereich der familienintegrierten Betreuung auf der Neonatologie macht. Auf dieser Basis wird es möglich sein, gemeinsam Mindeststandards für die Schweiz zu definieren. Per 2027 sollen Ressourcen geschaffen werden, um Spitäler gezielt bei der Implementierung solcher Mindeststandards zu unterstützen.

Was beinhaltet eine familienintegrierte Betreuung?

Diese beinhaltet u.a. Elternbildung, Schulung, interdisziplinäre Zusammenarbeit im Spital, Peersupport, psychosoziale Aspekte sowie eine bessere Gestaltung des Übertritts nach Hause. Ebenfalls gehört dazu, die Eltern in die Pflege zu integrieren, beispielsweise beim Sondieren und Maskenwechsel ihrer Kinder, damit sie schrittweise mehr Verantwortung übernehmen können. Wenn dies von Anfang geschieht, können Eltern und Kinder eine bessere Bindung aufbauen.

Luft nach oben gibt es in der Schweiz vor allem in zwei Bereichen: Bei der familienintegrierten Betreuung und beim Übertritt nach Hause.

Und in welchem zweiten Bereich sehen Sie noch Luft nach oben?

Dies betrifft den Übertritt nach Hause, der bei termingeborenen Kindern gut funktioniert mithilfe von Hebammen, Mütter- und Väterberatung etc. Nach einer Frühgeburt fallen die Eltern aber aus dem Schema. Betroffene Eltern sind nach teils sehr langen Phasen in der Neonatologie zu Hause plötzlich auf sich allein gestellt. Sie brauchen aber auch bei gesunden Kindern Unterstützung.

Was ist wichtig, um den Übertritt nach Hause zu erleichtern?

Es ist zentral, Eltern auf der Neonatologie mittels Wissensvermittlung ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Sie sollen aber unbedingt darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie sich später zu Hause weiterhin an Fachpersonen wenden können bzw. sollen. Es geht darum, den Eltern das Gefühl zu geben: ihr habt jetzt einen normalen Start zu Hause verdient und wir helfen euch dabei.

Vollamtlich im Einsatz für Familien mit frühgeborenen Kindern 

Dina Hediger wurde am 8. November 2025 für ihr Engagement mit dem Prix Sana ausgezeichnet. Vor rund drei Jahren hat sie als ehemals selbstbetroffene Mutter die Selbsthilfeorganisation Frühchen & Neokinder Schweiz gegründet. Sie verfügt über eine kaufmännische Ausbildung (KV) und über einen Executive MBA der Universität Bern mit Schwerpunkt Marketing Management. Heute setzt sie sich vollamtlich für das Wohl von Familien mit frühgeborenen Kindern ein.

Info: Nominationen für den Prix Sana 2026 können bereits auf der Prix Sana-Website eingereicht werden.

Beitragsbild: Prix Sana Preisträgerin Dina Hediger (Foto aus dem Prix Sana Portraitfilm von Simona Specker).

   

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