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5. Oktober 2023

Inselspital, Universitätsspital Bern

Durch die Nase ins Gehirn

Die Multiple Sklerose führt zur Schädigung von Nervenfasern im Zentralnervensystem. Aktuell gibt es keine Behandlung, die die Regeneration dieser Nerven fördert. Eine neue Studie von Forschenden des Inselspitals, Universitätsspital Bern, und der Universität Bern zeigt nun einen vielversprechenden Ansatz.

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des Zentralnervensystems, von der rund eine Million Menschen in Europa betroffen sind. Die Krankheit verläuft anfänglich in Schüben und führt zu neurologischen Beschwerden. Verantwortlich hierfür sind Entzündungen, die zu einer Schädigung der Schutzhülle der Nervenfasern und der darunterliegenden Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark führen.

Aktuell gibt es keine Behandlung, die die Regeneration von Nervenfasern bei MS unterstützt. Bei komplexen und grossen Wirkstoffen liegt dies vor allem daran, dass sie nicht gut in das Zentralnervensystem hineingeschleust werden können. Die nicht-invasive Verabreichung über die Nase könnte diese Hürde überwinden.

Prof. Dr. med. Andrew Chan, Chefarzt der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital

Ein vielversprechender Ansatzpunkt zur Behandlung von MS ist das körpereigene Protein (Eiweiss) Nogo-A. Dieses beeinträchtigt erwiesenermassen die Wiederherstellung der geschädigten Nervenfasern.

Lücke in der Blut-Hirn-Schranke

Damit die Nogo-A-Antikörper wirksam sind, müssen sie jedoch kontinuierlich das Zentralnervensystem erreichen können. Die grösste Herausforderung dabei besteht darin, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Es gibt aber Bereiche, die durchlässiger sind. Solche Stellen befinden sich auch in den Riechnerven der Nase, die die Nasenriechschleimhaut mit dem Gehirn verbinden.

Die neue Methode ermöglicht eine gezielte Verabreichung direkt via Riechschleimhaut. Von dort aus gelangen die Wirkstoffe über den Riechnerv geradewegs ins Gehirn.

Eine neue Verabreichungsmethode macht sich diese Lücke zu Nutze. Diese spezialisierte Methode wurde von einem multidisziplinären Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. med. Andrew Chan, Chefarzt der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital, und Prof. Dr. Vincent Pernet, Leiter des Neuroimmunologischen Labors am Inselspital, entwickelt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Nasensprays, die Wirkstoffe grossflächig in der unteren Nasenhöhle verteilen, ermöglicht die neue Methode eine gezielte Verabreichung direkt auf die Riechschleimhaut. Von dort aus gelangen die Wirkstoffe über den Riechnerv geradewegs ins Gehirn.

Neue Methode bewährt sich im Mausmodell

In einer kürzlich in der Fachzeitschrift «Cell Death Discovery» veröffentlichten Studie konnten die Forschenden die Wirksamkeit ihres Ansatzes bei Mäusen nachweisen. Für ihre Studie verwendete das Team ein etabliertes Mausmodell zur Erforschung der MS. Solche komplexen Erkrankungen können nur in einem lebenden Organismus abgebildet werden, weshalb in diesem Fall Tierversuche erforderlich waren.

Die Erkenntnisse der Studie ermöglichen neue Wege in der Entwicklung therapeutischer Ansätze. Andrew Chan erklärt: «Aktuell gibt es keine Behandlung, die die Regeneration von Nervenfasern bei Multipler Sklerose unterstützt. Bei komplexen und grossen Wirkstoffen wie den Nogo-A-Antikörpern liegt dies vor allem daran, dass sie nicht gut in das Zentralnervensystem hineingeschleust werden können. Die nicht-invasive Verabreichung über die Nase mithilfe der von uns weiterentwickelten spezialisierten Methode könnte diese Hürde überwinden.»

Als Nächstes werden die Forschenden die Wirksamkeit der Methode auch für andere Erkrankungen, die mit einer Schädigung im zentralen Nervensystem zusammenhängen, testen.

Multidisziplinäre Zusammenarbeit

Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf Zusammenarbeiten im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprojekt «N2B-patch» und dessen Folgeprojekt «Bio2Brain». Bei diesem ist auch das Unternehmen CSL Behring beteiligt, das einen Sitz im Schweizerischen Institut für Translationale Medizin und Unternehmertum (sitem-insel) hat.

In einem nächsten Schritt werden die Forschenden die Wirksamkeit ihres neu entwickelten Systems zur Verabreichung von Wirkstoffen auch für andere Erkrankungen, die mit einer Schädigung im zentralen Nervensystem zusammenhängen, testen. Parallel dazu werden sie die Methode weiterentwickeln und dabei erneut auf die Expertise eines multidisziplinären Teams setzen.

Beitragsbild: Wirkstoffe, die direkt auf die Riechschleimhaut verabreicht werden, gelangen von dort aus über den Riechnerv direkt ins Gehirn. Dadurch kann die Blut-Hirn-Schranke umgangen werden (© Design_Cells/Shutterstock).

   

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