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27. Juni 2023

Forschung zu Parkinson

Hochschule Luzern (HSLU)

Mit dem Handörgeli gegen Parkinson

Parkinson ist unheilbar. Doch Musik scheint die Symptome der Nervenkrankheit zu lindern. An der Hochschule Luzern (HSLU) tüfteln daher Forschende und Betroffene an neuen Therapien – mit der eigenen Lieblingsmusik.
Competence Martin Zimmermann

Autor

Martin Zimmermann

Projektleiter Newsroom & Unternehmenskommunikation an der Hochschule Luzern (HSLU)

m.zimmermann@hslu.ch

Musik ist Toni Scherrers Lebenselixier. Seit über 50 Jahren begleitet ihn sein Handörgeli, «meine treueste Freundin», wie er schmunzelnd sagt. Beinahe hätte er diese Beziehung aufgeben müssen. Vor vier Jahren wurde beim 69-Jährigen die Nervenkrankheit Parkinsons diagnostiziert. «In meinem Gehirn herrschte eine Disharmonie», erzählt er. «Ich zitterte manchmal so stark, dass ich das Instrument nicht mehr halten konnte.»

Mit Musizieren war nichts mehr – bis Scherrer Anfang letztes Jahr in der Zeitschrift des Schweizerischen Parkinson-Verbandes eine Anzeige der Hochschule Luzern entdeckte. Die Hochschule Luzern (HSLU) suchte Proband:innen für ein Forschungsprojekt: Mithilfe von Musik sollten Parkinson-Betroffene ein Stück Lebensqualität zurückerhalten. Scherrer meldete sich sofort an.

Ohne Risiken und Nebenwirkungen

Mit Musik gegen eine unheilbare Krankheit? Das sei nicht so abwegig, wie es klinge, sagt Dawn Rose. Die Musikpsychologin leitet das «Music, Movement, Mood & Parkinson’s» (MMMP) getaufte HSLU-Forschungsprojekt. Parkinson greife unter anderem jene Hirnareale an, die für Bewegungen zuständig sind. Die Areale, welche die Musik verarbeiten, seien hingegen gerade im Frühstadium der Krankheit weniger betroffen.

Die beiden Hirnareale sind eng miteinander verknüpft. Musikhören stimuliert somit beide. Klinische Studien belegen: Bei Parkinson-Betroffenen führt diese Verknüpfung dazu, dass Krankheitssymptome wie Zittern, Gleichgewichtsstörungen und Motivationslosigkeit teilweise über Stunden hinweg abklingen. Für Rose ist Musik somit «das ideale Therapiemittel»: «Sie ist nicht-invasiv, sie hat keine Nebenwirkungen.»

Musiktherapien kamen schon in Pilotstudien mit Parkinson-Betroffenen zum Einsatz; bis anhin haben sie sich aber nicht durchgesetzt. Patient:innen sind laut Dawn Rose oft wenig motiviert, Therapien in Kliniken und Praxen zu besuchen, weil sie das aus einem sowieso schon herausfordernden Alltag herausreisst.

Das Forschungsteam arbeitet daher an niederschwelligen Methoden, die sowohl zuhause als auch in Kirchen, Gemeindezentren oder anderen Gemeinschaftsräumen eingesetzt werden können. Diese reichen von mentalen Strategien, um die «innere Jukebox» anzuzapfen, bis zum gemeinsamen Singen und Musizieren mit anderen Parkinson-Betroffenen oder mit Familienmitgliedern.

Wenn die Forschenden und Parkinson-Spezialisten in Workshops über neue therapeutische Massnahmen brüten, sind auch Betroffene wie Toni Scherrer als gleichberechtigte Partner mit dabei. Für Dawn Rose selbstverständlich: Schliesslich könnten an Parkinson leidende Menschen am besten beurteilen, was funktioniere und was nicht, «sie sind die eigentlichen Expert:innen».

Hightech aus der Filmindustrie

Das Forschungsteam richtete am Hochschul-Standort Kampus Südpol in Kriens ein Motion-Capture-Labor ein. Damit versucht es festzustellen, wie sich die Musiktherapie auf die Parkinson-Betroffenen auswirkt. Die Motion-Capture-Technologie stammt ursprünglich aus dem Film. Dank ihr können die Bewegungen von Schauspieler:innen auf computeranimierte Figuren übertragen werden.

Den Musikforschenden geht es hingegen darum, Bewegungen präzise messen zu können. Sie bauten dafür einen kleinen Parcours auf: Die Proband:innen müssen von einem Stuhl aufstehen, durch eine Tür schreiten und einen Schlüssel aufheben – für Gesunde simpel, für Menschen mit Parkinson oft beschwerlich.

Mithilfe mehrerer Infrarot-Kameras und einer drucksensitiven Matte zeichnen die Forschenden alle Bewegungen auf. Daraus erstellen sie ein 3D-Modell der Person. So lassen sich auch kleinste Veränderungen der Beweglichkeit nach dem Musikhören feststellen. Die Ergebnisse der ersten Versuche sind laut Dawn Rose sehr vielversprechend: «Musik führt nicht nur zu einer gefühlten Verbesserung; das Zittern und die Gleichgewichtsstörungen gehen messbar zurück.»

Die Hauptmessreihe an der HSLU soll im Frühjahr 2024 starten. Das Forschungsteam sucht noch nach Proband:innen (Kontakt: marietta.ungerer@hslu.ch).

Spotify für Parkinson-Erkrankte

Die Forschenden planen zudem, auf Basis der Messungen und Workshops eine Musikplattform aufzubauen, «eine Art Spotify für Parkinson», wie es Dawn Rose nennt. Betroffene sollen hier die Musikstücke aus ihrer persönlichen Jukebox hochladen, inklusive Beschriebe, in welcher Lebenssituation ihnen diese besonders helfen.

Andere Erkrankte können die Musik dann ebenfalls hören, ob zuhause oder unterwegs via Smartphone. Auch Ärzt:innen sowie auf Parkinson spezialisierte Therapeuti:nnen werden auf die Plattform zugreifen können.

Derzeit klärt das MMMP-Team die rechtliche Situation ab. Geht alles gut, geht die Plattform Anfang 2025 in Betrieb.

Wieder vereint mit der «Freundin»

Neben Klassik, Filmmusik oder Jazz wird dort garantiert auch Volksmusik zu finden sein – das Lieblings-Genre von Toni Scherrer. Das Mitglied des Jodelclubs Wülfingen ist froh um seine persönliche Jukebox: «Die Harmonien des Ländlers wirken bei mir fast wie ein Medikament», erzählt er. Die Teilnahme am Projekt bewog ihn dazu, eine Ergotherapie zu besuchen. In monatelangen Sitzungen lernte Scherrer, das Zittern in seiner linken Hand zu kontrollieren.

Heute ist der gebürtige Winterthurer wieder mit seiner «Freundin» vereint: Wann immer es ihm schlecht geht, «das Zittern überhandnimmt», wie er sagt, setzt er sich hin und spielt drauf los. Schon nur ein paar Minuten reichten, und er fühle sich über Stunden hinweg besser. «Plötzlich macht der ganze Körper wieder mit, das Zittern nimmt über Stunden hinweg ab, meine Stimmung hellt sich auf. Es ist ein Wow-Erlebnis – jedes Mal!»

Beitragsbild: Priska Ketterer.