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4. Oktober 2022

Patientenpfad im Focus

Studie im Kanton Graubünden

Gesundheitsregionen: Hype oder Zukunftsmodell?

Gesundheitsregionen gelten als Modell für das Gesundheitswesen der Zukunft. Eine Studie im Kanton Graubünden gibt Anhaltspunkte, inwiefern sie die hohen Erwartungen erfüllen können, und was bei ihrer Entwicklung zu beachten ist.
Competence Matthias Mitterlechner

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Prof. Dr.

Matthias Mitterlechner

Professor für Service Performance Management, Universität St.Gallen,

matthias.mitterlechner@unisg.ch

In den letzten Jahren sind zahlreiche Initiativen zur Bildung von Gesundheitsregionen zum Beispiel im Emmental oder in Basel entstanden. Eine Gesundheitsregion ist ein geografischer Raum, in dem verschiedene Akteure aus dem Gesundheits- und Sozialwesen ihre Wertschöpfungsaktivitäten mit Blick auf den Bedarf der Bevölkerung koordinieren. Durch die Koordination sollen bestimmte Bevölkerungssegmente, wie ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen, qualitativ besser und effizienter behandelt werden. In ländlichen Räumen kann die Grundversorgung durch die Bündelung knapper Ressourcen gesichert werden.

Aber inwieweit können Gesundheitsregionen diese Erwartungen erfüllen? Um diese Frage zu untersuchen, analysierten die Universität St.Gallen und KPMG im Jahr 2020 die Qualität, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit der Gesundheitsversorgung in vier Regionen des Kantons Graubünden. Die Studie verglich zwei Regionen, in denen zentrale Akteure wie Spital, Spitex und Pflegezentren ihre Wertschöpfungsaktivitäten koordinieren (Prättigau, Unterengadin), mit zwei Regionen ohne Koordination (Oberengadin, Surselva).

Eine der analysierten Gesundheitsregionen richtete eine regionale Versorgungskommission ein, in der Regionalpolitiker und Leistungserbringende einen akuten Pflegenotstand lösten und dadurch Vertrauen aufbauten.

Positive Wirkungen

Die Daten zeigen, dass Gesundheitsregionen die medizinisch-pflegerische Wertschöpfung stärker auf den Bedarf der Bevölkerung ausrichten. Die hohe Qualität der Versorgung ist auf die Koordination der Aktivitäten zwischen den Leistungserbringenden zurückzuführen, etwa durch Case Management für ältere Einwohnende mit komplexen Bedürfnissen (siehe Abbildung).

Die Koordination kann zu einem Leistungsausbau und steigenden Gesundheitsausgaben in der Krankenpflegeversicherung führen. Langfristig blieben die Ausgaben jedoch unter dem Schweizer Durchschnitt, was auf einen Nachholbedarf z. B. im Bereich der Augenmedizin und nicht auf eine Überversorgung hinweist. Bei den unterstützenden Aktivitäten wie HR oder IT lassen sich Kostenvorteile durch Skaleneffekte in der Höhe von 20 bis 30 Prozent realisieren. Das Personalmanagement kann zudem bedarfsorientierter und sektorübergreifend gestaltet werden – mit positiven Wirkungen auf die Rekrutierung und mit flexibler Einsatzplanung von knapp zur Verfügung stehenden Fach- und Führungskräften. Nicht zuletzt steigt die Lebens- und Standortqualität. In den untersuchten Gesundheitsregionen wurden Arbeitsplätze für qualifizierte Arbeitnehmende geschaffen, und die Grundversorgung für Einheimische und Gäste konnte gestärkt werden.

Gesundheitsregionen richten ihre Wertschöpfung vermehrt auf den Bedarf der Bevölkerung aus.

Den Wandel gestalten

Angesichts dieser Erkenntnisse stellt sich die Frage, wie Gesundheitsregionen entwickelt werden können. Die Daten legen nahe, dass die beteiligten Akteure laufend Widersprüche zu bearbeiten haben, die sich aus dem spezifischen und dynamischen regionalen Kontext ergeben. Dazu zählen hinderliche politische Vorgaben wie Kantonsgrenzen, mengenabhängige Vergütungsmodelle, inkompatible IT-Systeme, Konkurrenzverhältnisse oder fehlendes Vertrauen.

Um diese Widersprüche zu bearbeiten, ist es entscheidend, dass die Akteure bei ihrer Entwicklungsarbeit kommunikative Praktiken institutionalisieren. Eine der analysierten Gesundheitsregionen richtete z. B. eine regionale Versorgungskommission ein, in der Regionalpolitiker und Leistungserbringende einen akuten Pflegenotstand lösten und dadurch Vertrauen aufbauten. Der weitere Prozess beinhaltete kleine Schritte und paritätisch besetzte Gremien, um «auf Augenhöhe» zu entscheiden. Diese und weitere Praktiken bildeten den «kommunikativen Unterbau», um die Widersprüche auf dem Weg zur Gesundheitsregion lösungsorientiert zu bearbeiten.

Fazit

Zusammenfassend beleuchtet die Studie vielfältige Vorteile einer regionalen Koordination von Wertschöpfungsaktivitäten. Auf dem Weg dahin gilt es allerdings zahlreiche Widersprüche kreativ zu lösen. Gelingt es den Akteuren, die dafür notwendigen kommunikativen Beziehungen zu schaffen, könnten sich Gesundheitsregionen tatsächlich als Modell für die Gesundheitsversorgung der Zukunft etablieren.

Beitragsbild: In der Gesundheitsregion Unterengadin bietet eine Beratungsstelle ein Case Management für Einwohnende und Gäste mit komplexen Bedürfnissen und koordiniert die Angebote der regionalen Leistungserbringer (Foto: Gesundheitszentrum Unterengadin).