Mit der Revision von Art. 55a KVG hat der Gesetzgeber die Kompetenz zur Zulassungssteuerung vom Bund auf die Kantone verschoben. Die Kantone sollen so den jeweiligen Verhältnissen besser Rechnung tragen können. Die Umsetzung erweist sich aber als schwierige Herausforderung.
Nicht restlos klar ist zunächst, ob die Kantone zwingend in wenigstens einem Fachgebiet eine Beschränkung beschliessen müssen. In diesem Sinne äussert sich das BAG¹. Die Ausführungen des Bundesrats in der Botschaft sprechen indes klar gegen eine solche Pflicht². Tatsächlich ist die Einführung von Höchstzahlen kein Selbstzweck. Eine Pflicht zur Begrenzung mindestens eines Fachgebiets ungeachtet der konkreten Verhältnisse wäre sachlich kaum begründbar.
Entscheidet sich ein Kanton, die Höchstzahlen zu begrenzen, ist es sodann angesichts einer unsicheren Datenlage anspruchsvoll, die Auswahl bestimmter Fachgebiete sachlich zu begründen. Eine Herausforderung bei der Umsetzung ergibt sich auch aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung der Konkurrenten. Zu denken ist hier an das Verhältnis zwischen Facharztgruppen, deren Leistungen sich überlappen, vor allem aber auch an das Verhältnis zwischen Kantonen, wenn etwa ein Fachgebiet in einem Kanton begrenzt ist, jenseits der Kantonsgrenze aber nicht. Dass der Bund den Kantonen hinsichtlich möglicher Diskriminierungen entlang von Kantonsgrenzen keine freie Hand lassen wollte, ergibt sich aus dem Koordinationsgebot von Art. 55a Abs. 3 KVG.
Die im Gesetz angelegte planwirtschaftliche Mikroregulierung erscheint insgesamt als wenig geeignet, um der raschen und dynamischen Entwicklung des ambulanten Leistungsbereichs gerecht zu werden. Gerade in den Spitalambulatorien droht die starre Regulierung den Arbeitsalltag wesentlich zu erschweren und den versorgungspolitisch sinnvollen Aus- und Umbau des Leistungsangebots zu behindern: Tätigkeitsübergänge zwischen stationärem und ambulantem Bereich drohen erschwert und die Änderung von Arbeitspensen verunmöglicht zu werden; vakante Ärztestellen können unter Umständen nicht oder nur unter Auflagen neu besetzt werden; Gesuche und Meldepflichten verursachen zusätzlichen administrativen Aufwand. Angesichts solcher unerwünschter Nebenwirkungen werden die Kantone gefordert sein, Gestaltungsspielräume zu nutzen, um sinnvolle Entwicklungen nicht zu verhindern und Umgehungshandlungen keinen Vorschub zu leisten.
Ausdruck für die Schwierigkeit der sich stellenden Fragen mag auch sein, dass bislang nur wenige Kantone die Umsetzungsgesetzgebung verabschiedet haben. Die meisten Kantone, die Handlungsbedarf erkennen, setzen für die Umsetzung zumindest in einer Übergangsphase darauf, anstelle eines Gesetzes eine Verordnung zu erlassen. Angesichts der wichtigen Entscheidungen, die im Hinblick auf einen Zulassungsstopp zu treffen sind, erscheinen Verordnungen jedoch als ungenügende gesetzliche Grundlage. Dies hat jüngst auch das Kantonsgericht Basel-Landschaft festgestellt und eine kantonale Zulassungsverordnung mangels formell-gesetzlicher Grundlage aufgehoben. Angesichts des aktuellen Umsetzungsstandes dürfte dies bedeuten, dass derzeit in weiten Teilen der Schweiz noch kein Zulassungsstopp gestützt auf Art. 55a KVG gilt³.
Werden jedoch verbindliche Regelungen erlassen, sind die Leistungserbringer einer unsachgemässen Umsetzung des Zulassungsstopps nicht wehrlos ausgeliefert. Einerseits ist eine abstrakte Normenkontrolle gegen rechtswidrige kantonale Umsetzungsverordnungen und -gesetze möglich. Andererseits können betroffene Ärzte und andere Leistungserbringer kantonale Verfügungen im Anwendungsbereich von Art. 55a KVG im Einzelfall gerichtlich auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen lassen.
Neue Zulassungsregelung
Mit dem revidierten Art. 55a KVG überträgt der Gesetzgeber den Kantonen die Kompetenz, die Zahl der zulasten der OKP tätigen Ärzte zu begrenzen. Die kantonalen Höchstzahlen stellen ein Instrument zur Angebotssteuerung im ambulanten Leistungsbereich dar. Legt ein Kanton Höchstzahlen fest, so muss er dies neu nicht nur für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, sondern auch für die Spitalambulatorien tun. Der Bundesrat legt die Kriterien und methodischen Grundsätze für die Festlegung der Höchstzahlen fest. Im Übrigen geniessen die Kantone beim Entscheid für oder gegen die Zulassungssteuerung und bei der Festlegung der Umsetzungsmodalitäten eigenes Ermessen. Angesichts der einschneidenden Entscheidungen, die die Kantone zu treffen haben, erfordert die Umsetzung eine hinreichende formell-gesetzliche Grundlage.
1BAG, Wortlaut und Kommentar vom 28.11.2022 zur Verordnung des EDI über die Festlegung der regionalen Versorgungsgrade je medizinisches Fachgebiet im ambulanten Bereich, 28.11.2022, S. 2.
2Botschaft vom 18.5.2018 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung, BBl 2018 3162.
3So z. B. im Kanton Zürich, in dem der Zulassungsstopp gemäss Medienmitteilung des Regierungsrats vom 28.6.2023 vorerst ausgesetzt wurde.
Beitragsbild: C. Strebel, Fachfrau Operationstechnik HF, bei einem Eingriff im Ambulanten Operationszentrum
am Lindenhofspital (Foto: lhg).