Rekrutierung, Personalmangel, Total Recruiting
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11. Juni 2024

Background

Total-Recruiting-Konzept

«Wenn Spitäler in die Abwärtsspirale geraten, wird es teuer»

Die Personaldirektorin Raphaela Meier und Stephan Rotthaus, Initiator von «Total Recruiting», betonen die Wichtigkeit für Spitäler, im Personalbereich entschlossen zu handeln.  
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Herr Rotthaus, was sollen Spitäler tun, um die Abwärtsspirale beim Personal zu vermeiden, zu stoppen oder schnellstmöglich ins Positive zu wenden?

Stephan Rotthaus, Geschäftsführender Gesellschafter, rotthaus.com,
stephan.rotthaus@rotthaus.com

SR: Spitäler müssen auf jeder Stufe des Rekrutierungs­trichters effizienter werden. Dies gilt für den Einstellungsprozess bis hin zur Bindung von passenden Mitarbeitenden an den Betrieb. Überall sind Optimierungen möglich.

Gibt es weitere Punkte zu beachten?

SR: Es ist wichtig, entschlossen zu handeln. Je länger Spitäler abwarten, desto schwieriger wird die Mis­sion, denn die Situation des Arbeitsmarkts wird sich weiter verschärfen. Je früher die Spitäler es schaffen ihre Personallücken zu schliessen, desto grösser ist die Chance, dass sie auf einem nachhaltigen Personalniveau bleiben können.

Kann die Personalabteilung dies alles alleine stemmen?

SR: Nein, ein Spital muss alle seine Mitarbeitenden sensibilisieren und mobilisieren. Ihnen allen muss bewusst werden, dass es in ihrem ureigensten Interesse ist, die Teams beisammenzuhalten. Denn dies bedeutet Entlastung, eine vermehrte Berücksichtigung von Dienstplanwünschen und dass die Mitarbeitenden mehr Freude an der Arbeit haben und sich vermehrt um die Patient:innen kümmern können.

Das Hauptziel muss eine zeitnahe Vollbesetzung aller Stellen sein.

Stephan Rotthaus

Welches Hauptziel sollten die Spitäler verfolgen?

SR: Spitäler machen oftmals nur gerade so viel, dass die Not nicht übermässig gross wird. Angesichts des Spardrucks sparen sie bisweilen sogar beim Personalwesen. Wenn sie aber in eine Abwärtsspirale geraten, wird es für sie wegen Umsatzverlusten aufgrund nicht belegbarer Betten sehr teuer. Das Hauptziel muss daher sein, alle Stellen zeitnah zu besetzen und dies mit dem Einsatz der hierzu notwendigen Mittel.

Raphaela Meier, Direktorin Personal, Universitätsspital Basel, raphaela.meier@usb.ch

Frau Meier, warum haben Sie beschlossen, im Universitätsspital Basel (USB) die Rekrutierungsstrategie in der Pflege nochmals vertieft zu prüfen?

RM: Auch wenn die Situation bei uns noch relativ gut ist, möchten wir mit Blick auf die demografische Entwicklung künftige Feuerwehrübungen vermeiden. Daher haben wir den künftigen Personalbedarf analysiert, so auch die externe und interne Wahrnehmung des USB als Arbeitgeber und inwiefern wir uns in der Rekrutierung, in der Aus- und Weiterbildung und bei den Anstellungsbedingungen noch verbessern können.

Was können Spitäler tun, um das Angebot an Arbeitskräften zu vergrössern?

SR: Nur wenige Pflegende arbeiten über das Pensionsalter hinaus. Es besteht also ein grosses Potenzial, wenn Spitäler schon frühzeitig mit Mitarbeitenden über altersgerechte Arbeitsprofile sprechen. Wichtig ist auch, Wiederkehrer:innen zurückzugewinnen und zu potenziellen Rückkehrer:innen, die gerade nicht im eigenen Spital arbeiten, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Zunehmend gilt es, Menschen mit Arbeitsplätzen zusammenzubringen, mittels eines ausdifferenzierten Angebots an verschiedenen Arbeitsmodellen. Denn viele Personen scheiden aus dem Pflegeberuf aus, weil die Arbeitszeiten nicht zu den Lebensmodellen passen.

Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Personalstrategieprojekt des USB?

RM: Angesichts des strukturellen Personalmangels, der sich noch verschärfen wird, müssen wir von einem tendenziell reaktiven Feuerwehr-Modus vermehrt in einen strategischen, proaktiven Modus kommen. Es hat sich ferner gezeigt, dass häufig die Personalabteilung die treibende Kraft bei der Personalgewinnung ist. Wenn wir aber sehen, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt, wird es wichtig sein, gemäss dem Ansatz Total Recruiting unsere Mitarbeitenden in die Personalgewinnung und -bindung einzubeziehen. Zudem können wir Fälle potenzieller Rückkehrer:innen noch systematischer bearbeiten. Um attraktivere Arbeitszeitmodelle anbieten zu können, haben wir ferner einen internen flexiblen Pool eingerichtet. Dieser ermöglicht es den Pflegenden, sich je nach Lebensphase für ein passendes Arbeitszeitmodell zu entscheiden.

Wir haben die Wichtigkeit erkannt, unsere Mitarbeitenden bei der Personalgewinnung
einzubeziehen.

Raphaela Meier

Wie stehen die Chancen von kleinen Spitälern im umkämpften Arbeitsmarkt?

SR: Kleine Spitäler haben den Vorteil, dass sie nur einen kleinen Marktanteil haben und daher klar formulieren können, welche Art von Mitarbeitenden sie suchen, die zu ihrer spezifischen Spitalkultur passen.

Wenn Spitäler das Personalmarketing effektiver umsetzen, ist das nicht ein Nullsummenspiel?

SR: Spitäler befinden sich im Wettbewerb. Jene, die es besser machen, erzielen bessere Ergebnisse. Wenn aber Spitäler es beispielsweise schaffen, effizienter zu arbeiten und mehr Arbeitsvolumen zu mobilisieren, dann können solche Massnahmen die gesamte Branche entlasten bzw. deren Image verbessern.

Total Recruiting bedeutet, entschlossen den gesamten Personalprozess zu optimieren.

Stephan Rotthaus

Wie ist der Total-Recruiting-Ansatz entstanden?

SR: Er bedeutet im Kern, alle Register zu ziehen, entschlossen den Gesamtprozess zu optimieren und alle Mitarbeitenden dabei einbeziehen. Entstanden ist der Begriff vor zwei Jahren im Rahmen des Kongresses Klinikmarketing und des KlinikAwards. Die Strategie «Total Recruting» haben wir auf der Basis von über 200 Best-Practice-Beispielen entwickelt.

Frau Meier, welche Learnings möchten Sie anderen Spitälern mit auf den Weg geben?

RM: Es ist absolut zentral, das strukturelle Personalproblem mit einer Gesamtstrategie auf der Führungsebene anzugehen und sich als Ausgangspunkt einen systematischen Gesamtüberblick zu verschaffen. Das ist recht einfach umzusetzen, denn wir wissen, wieviel Pflegende wir angestellt haben, wie die Fluktuation ist, welche Altersstruktur wir haben und wieviel wir ausbilden. Haben Sie insgesamt keine Angst vor negativen Feedbacks und davor, sich selbst zu reflektieren und Verbesserungspotenziale zu erkennen. Es lohnt sich, innovative Lösungen zu wagen und auszuprobieren!

Beitragsbild: Canva.com