Zwischen 93 und 99 Prozent des Spitalaufenthalts verbringen Patient:innen in liegender oder sitzender Position. Sie gehen im Spital weniger als tausend Schritte pro Tag. Infusionen, Schmerz, Schwindel und Sturzgefahr sind häufige Gründe für Inaktivität während eines stationären Aufenthaltes. Doch nicht immer ist Bettruhe notwendig. Das Risiko einer Dekonditionierung ist hoch, wenn sich Menschen im Spital zu wenig bewegen. «Hospitalisation-associated Disability» lautet der Fachbegriff. Mindestens 30 Prozent der über 70-jährigen Patient:innen sind nach einem Spitalaufenthalt in ihren «Aktivitäten des täglichen Lebens» (ADL) beeinträchtigt.
Wie Studien belegen, sollten Frühmobilisation und ein höheres Level an physischer Aktivität mehr klinische Aufmerksamkeit erhalten. Dadurch lässt sich das Risiko bei Patient:innen für Komplikationen senken und die Verweildauer im Spital reduzieren. Ältere Menschen, die ihre Gehfähigkeit während des Spitalaufenthalts beibehalten, werden früher entlassen und sind nach dem Spitalaufenthalt mobiler. Sie bewahren ihre Selbständigkeit. Zudem verkürzt sich die Erholungsphase nach einer Operation. Somit ist «Hospitalisation-associated Disability» vermeidbar.
Es liegt in der Verantwortung der Fachpersonen, gezielt Bewegung ins Spital zu bringen. Vor diesem Hintergrund rief die «Interessengemeinschaft Physiotherapie Rehabilitation Akutspital» (IGPTR-A) im Jahr 2020 die Initiative «Hospital in Motion» ins Leben.
Die Initiative ist multidimensional angelegt. Sie wendet sich an alle klinischen Berufsgruppen mit Patient:innenkontakt und adressiert sämtliche Patient:innen-gruppen. Es geht darum, spitalweit ein Bewusstsein zu schaffen: «Bedrest is toxic – mobility matters in the hospital» (Greysen & Patel, 2018). Alle Beteiligten sollten über die Gefahren von Inaktivität Bescheid wissen. Daher haben Therapeut:innen der zwölf beteiligten Spitäler Edukationstools und Arbeitsmaterialien entwickelt.
Ein Mobilitätsplan mit acht Stufen ist entstanden. Jeden Tag vereinbaren Therapeut:innen im Rahmen der Visite mit den Patient:innen ein Mobilitätsziel – jeweils abgestimmt auf den aktuellen Zustand und die Vorgeschichte. Das vereinbarte Ziel markieren die Therapeut:innen auf dem Plan. Im Laufe des Tages erfassen alle Beteiligten (Pflege, Therapeut:innen, Patient:innen, Angehörige) die tatsächliche Mobilität, zum Beispiel durch Striche im Feld der durchgeführten Aktivität. Dadurch wissen alle Beteiligten, wie aktiv die Patient:innen jeweils waren – und ein Vergleich mit dem gesetzten Ziel ist möglich.
Nationaler Aktionstag «Bringt Bewegung ins Spital!» am Universitätspital Zürich (Bildquelle: Universitätsspital Zürich).
Erste Erfahrungen in der Praxis sind positiv: Mobilitätsfortschritte werden anhand des Plans deutlich erkennbar. Die meisten Therapeut:innen fanden den Mobilitätplan praktikabel. Daten zum Bewegungsverhalten hospitalisierter Patient:innen waren in der Schweiz bisher noch nicht verfügbar. Teil der Initiative ist deshalb eine Machbarkeitsstudie, um die Aktivität der Patient:innen in vier verschiedenen Spitälern zu erfassen.
Die Arbeitsgruppe ermittelte unter anderem die Anzahl der Schritte, das Mobilitätsniveau und die benötigten Hilfsmittel der Patient:innen. Aus der internationalen Literatur sind hemmende und fördernde Faktoren von selbstgesteuerter Aktivität im Akutspital bekannt. Für die Schweiz liegen auch hierzu kaum Daten vor. Daher erhielt auch dieser Aspekt Aufmerksamkeit.
Der Weg zu einem bewegungsfreundlicheren Spital ist noch lang. Erste Schritte sind jedoch gemacht. Die bisherigen Erfahrungswerte zeigen, dass die Initiative bereits vieles bewirken und anregen konnte.
Hinweis: Die Edukations- und Informationsmaterialien stehen allen Interessent:innen auf der Website der IGPTR-A zur Verfügung: www.igptr.ch/interner-bereich/igptr-a/hospital-in-motion
Die Literaturliste ist bei der Autorin erhältlich.
Beitragsbild: Mobilisation am Spitalbett (Quelle: Pixabay.com)