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10. Dezember 2024

FOCUS

Sicht einer Notfallmedizinerin

«Viele Prozesse brauchen heute mehr Zeit als früher»

Der Patientenzuwachs in den Notfallstationen der Universitätsspitäler hat bei gleichgebliebenen Ressourcen zu längeren Prozessen und Wartezeiten für Patient:innen geführt. 
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Welche Rolle spielt der Faktor Zeit, um eine gute und sichere Notfallversorgung zu gewährleisten?

Prof. Dr. med. Dagmar Keller,
Klinik Gut St. Moritz,
d.keller@klinik-gut.ch

Die Zeit ist ein wichtiger Faktor. Hierzu gehört auch die Wartezeit der Patient:innen, die aus medizinischer Sicht mit der Triage zu tun hat. Alle Schweizer Notfallstationen haben ein Triage-System, meist ist es das Emergency Severity Indexsystem (ESI). Dieses geht von 1 absolut dringlich, 2 Notversorgung innerhalb von zehn Minuten notwendig, 3 innerhalb von 30 Minuten. Im Falle von ESI 4 bzw. 5 handelt es sich um Patient:innen, die nicht auf die Notfallstation kommen sollten, aber dort immer häufiger auftauchen.

In meiner Assistenzzeit hatten wir mehr Zeit für die Patient:innen als heute.

Hat sich der Umgang mit der Zeit verändert?

In meiner Assistenzzeit ab 1995 waren die Notfallsta­tionen weniger überlaufen und wir hatten mehr Zeit für die Patient:innen als heute. In den universitären Notfallstationen nahm die Zahl der Patient:innen und der Kostendruck seither stark zu. Gleichzeitig wurde das Personal nicht aufgestockt. Auch räumlich ist heute die Situation prekär, und auch hier spielt der Zeitfaktor eine Rolle. Wir versuchen die Dauer von Prozessen zu verkürzen und Wartezeiten zu reduzieren.

Es kommt also vermehrt zu Wartezeiten?

Mit Blick auf die Behandlungszeit dauert es heute in der Diagnostik infolge des Zuwachses an Patient:innen länger als früher bis z. B. in der Radiologie ein CT gemacht werden kann oder Spe­zialist:innen einer anderen Klinik die Patient:innen gesehen haben.

Alle Akteure, vor allem auch die Patient:innen, sind ungeduldiger geworden.

Es kommt zudem zu Wartezeiten, bis Patient:innen auf die Station gehen können, wenn z. B. die Bettenstationen überfüllt sind. Solche Engpässe führen in der gesamten Notfallversorgung zu Zeitverschiebungen. Ich stelle also fest, dass heute viele Prozesse länger dauern als in meiner Assistenzzeit – auch wegen überbordender Bürokratie.

Gilt dies auch bei dringenden Notfällen?

Bei Patient:innen mit dringender Behandlungsbedürftigkeit muss die Behandlung zeitgerecht erfolgen. Insgesamt sind alle Akteure und vor allem auch die Patient:innen, ungeduldiger geworden. Längere Wartezeiten führen vermehrt zu Aggressionen.

Welches sind aus Ihrer Sicht zentrale Strategien im Umgang mit knapper Zeit?

Es ist wichtig, dass in der Notfallmedizin genug Räumlichkeiten und qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen, versierte Notfallmediziner:innen mit diesem Schwerpunkt und auch Pflegende mit dem Nachdiplomstudium in Notfallpflege, die diese Aspekte ebenfalls gut kennen.

Attraktive Teilzeitmodelle verhindern, dass qualifiziertes Personal den Beruf verlässt.

Welche Anstrengungen sind nötig?

Die Schweizerische Gesellschaft für Rettungs- und Notfallmedizin (SGNOR), in welcher ich Vorstandsmitglied bin, akkreditiert ein Netzwerk von Notfallstationen, die angehenden Ärzt:innen und Pflegenden entsprechendes Know-how vermitteln. Es gilt auch politische Anstrengungen zu unternehmen und mit attraktiven Teilzeitmodellen etc. zu verhindern, dass dieses Personal den Beruf verlässt.

Beitragsbild: Notfallkoje in der Klinik Gut St. Moritz (Foto: zvg).

   

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