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15. Oktober 2024

Background

Exklusiv-Interview mit Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider

«Unser Gesundheitssystem ist exzellent und hat seinen Preis»

Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider gibt Auskunft über die Herausforderungen und aktuellen Entwicklungen im Schweizer Spitalsystem. Sie äussert auch ihre Meinung zur einheitlichen Finanzierung der Gesundheitsleistungen, über die wir am 24. November 2024 abstimmen.
Competence Muriel Chavaillaz

Autorin

Muriel Chavaillaz

Journaliste de Competence pour la Suisse romande et le Tessin

muriel.chavaillaz@hplus.ch

Viele Spitäler und Kliniken schreiben rote Zahlen, mehrere Kantone müssen rettend eingreifen. Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden und welche Lösungen sehen Sie?

Die Spitäler und Kliniken sind ein wichtiger Pfeiler unseres Gesundheitssystems. Obwohl die Spitalplanung in die Zuständigkeit der Kantone fällt, bin ich gut über die finanzielle Situation der Spitäler informiert und beobachte die Herausforderungen betreffend den Zugang zum Gesundheitssystem und die Sicherheit der Gesundheitsversorgung sehr genau. Regelmässig bespreche ich dieses Thema mit den kantonalen Gesundheitsdirektor:innen. Der Bund kann in unserem föderalistischen System nicht an die Stelle der Kantone treten. Selbstverständlich ermutige ich die Kantone dazu, ihre Spitalplanung mit einem Blick über die Kantonsgrenzen hinaus anzugehen, um die bestmögliche Zusammenarbeit auf regionaler Ebene zu finden.

Der Trend, dass nicht mehr jedes Spital die gesamte Leistungs-Palette anbieten muss, wird sich noch verstärken.

Brauchen wir gemäss Ihrer Einschätzung weniger Spitäler und Kliniken, dafür aber mehr spezialisierte Einrichtungen?

Es steht mir nicht zu, mich über die Anzahl der Spitäler zu äussern. Die Kantonsregierungen kennen die Realitäten ihrer Region und die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung am besten. In den letzten Jahren hat sich der Trend gezeigt, dass nicht mehr jedes Spital die gesamte Palette an Leistungen anbieten muss. Ich denke, dass sich diese Entwicklung noch verstärken wird.

Die einheitliche Finanzierung der Gesundheitsleistungen fördert im Sinne der Patient:innen die Verlagerung von stationär zu ambulant und hilft, die Kosten zu dämpfen.

Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider engagiert sich für ein Ja zur einheitlichen Finanzierung (Foto: Bundeskanzlei/Béatrice Devènes).

Welche Vorteile bringt die einheitliche Finanzierung (EFAS)? Und welche Auswirkungen könnte ein Nein am 24. November haben?

Die einheitliche Finanzierung der Gesundheitsleistungen bringt mehrere entscheidende Vorteile mit sich. Sie fördert die Verlagerung von der stationären zur ambulanten Versorgung, wo immer dies aus medizinischer Sicht sinnvoll ist. Dies liegt im Interesse der Patient:innen – mit Blick auf die Lebensqualität und die Verringerung des Infektionsrisikos – und hilft, die Kosten zu dämpfen. Die Reform fördert auch die koordinierte Versorgung im Gesundheitswesen, indem sie sicherstellt, dass die Akteure, die sich für die Koordination einsetzen, auch diejenigen sind, die davon profitieren.

Ein Nein am 24. November würde hingegen die negativen Anreize des gegenwärtigen Finanzierungssystems festschreiben. Ein Nein wäre auch ein Signal des Scheiterns, es würde diejenigen Stimmen stärken, die behaupten, dass in unserem Gesundheitssystem keine Reformen möglich sind. Diese pessimistische Sichtweise teile ich nicht.

Ohne verbesserte Arbeitsbedingungen wird das Pflegepersonal noch knapper werden.

Wie kann die Schweiz den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften beheben?

Wie in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft gibt es keine Zauberformel. Was das Pflegepersonal betrifft, setzen wir die Pflegeinitiative um, die 2021 angenommen wurde. Zusammen mit den Kantonen haben wir seit dem 1. Juli eine breit angelegte Ausbildungsoffensive gestartet, um den Personalbestand zu erhöhen.

Um die Pflegefachpersonen zu ermutigen, den gewählten Beruf nicht vorzeitig zu verlassen, müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden, indem beispielsweise die Arbeitszeiten vorhersehbarer ausgestaltet werden. Wir haben allen betroffenen Kreisen konkrete Vorschläge unterbreitet und ich erwarte, dass die Hauptakteure – darunter die Spitäler und Kliniken – ihren Beitrag zur Umsetzung der Initiative leisten. Das Interesse an den Pflegeberufen ist gross, und es ist von entscheidender Bedeutung, die Attraktivität dieser Berufe zu erhalten. Ohne verbesserte Arbeitsbedingungen wird das Pflegepersonal noch knapper werden.

Es ist konsequent, auch andere Gesundheitsberufe in diese Überlegungen einzubeziehen, z. B. in der medizinischen Grundversorgung oder in der Pharmazie. In diesem Sinne werde ich noch dieses Jahr die «Agenda Grundversorgung» lancieren, die dazu beitragen soll, die Leistungen in der Basisversorgung zu stärken.

Es ist notwendig, dass die Akteur:innen selbst konkrete Sparvorschläge machen. Um diese zu besprechen und in der Folge zu handeln, lade ich sie diesen Herbst zu einem runden Tisch ein.

Die Bevölkerung wird immer älter und der medizinische Fortschritt ist rasant. Ist es realistisch zu erwarten, dass sich das Kostenwachstum im Gesundheitswesen verlangsamt?

Hoffnung alleine reicht nicht. Es muss alles getan werden, um den Kostenanstieg einzudämmen. Mehrere laufende und geplante Massnahmen tragen dazu bei. Alle Partner müssen Verantwortung übernehmen. Ich fordere das Parlament beispielsweise dazu auf, dem zweiten Kostendämpfungspaket zuzustimmen. Massnahmen wie Mengenrabatte für umsatzstarke Medikamente sind erforderlich. Ferner gilt es, den Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative umzusetzen, der ab 2026 Wirkung entfalten wird. Es ist auch notwendig, dass die Akteur:innen des Gesundheitswesens selbst konkrete Vorschläge machen. Um diese zu besprechen und in der Folge zu handeln, lade ich sie diesen Herbst zu einem runden Tisch ein. Aber natürlich verspreche ich keine Wunder: Unser Gesundheitssystem ist hervorragend, und es hat seinen Preis.

Im Zusammenhang mit dem Kritikpunkt einer überbordenden Bürokratie analysiert das BAG derzeit auf meinen Wunsch hin die aktuelle Situation auf der Suche nach Lösungen.

Medizinische Leistungserbringer müssen immer mehr administrative Anforderungen erfüllen: Register, Qualitätsmessungen, elektronisches Patientendossier usw. Wie wirken Sie dem Trend entgegen, dass das Fachpersonal immer mehr Zeit damit verbringt, administrative Aufgaben zu erledigen, statt die Patient:innen zu betreuen?

Den Kritikpunkt einer überbordenden Bürokratie nehme ich sehr ernst. Das BAG analysiert derzeit auf meinen Wunsch hin die aktuelle Situation auf der Suche nach Lösungen. Ich möchte herausfinden, wie hoch der Anteil der administrativen Aufgaben ist, die durch gesetzliche Vorschriften verursacht werden, und wie viele davon vermieden werden könnten. Was die Digitalisierung des Gesundheitssystems betrifft, besteht zweifellos Nachholbedarf. Diese kann die Arbeit der Mitarbeitenden vereinfachen. Und wenn die Daten kompatibel sind – wie es mit dem Projekt DigiSanté und dem elektronischen Patientendossier angestrebt wird – können sie mit anderen Gesundheitsdienstleistern ausgetauscht werden.

Mit DigiSanté hat das Parlament 400 Millionen Franken für die Digitalisierung bereitgestellt. Wie wird dies die Gesundheitsversorgung verbessern? Und wie werden die Spitäler und Kliniken die Umsetzung der Projekte finanzieren können?

Mit dem Entscheid, für den Zeitraum 2025 bis 2034 eine hohe Summe zur Verfügung zu stellen, haben Bundesrat und Parlament unterstrichen, dass sie die Digitalisierung als absolut prioritär einstufen. Diese Entscheidung erfordert, dass die verschiedenen Akteure des Gesundheitswesens aktiv an einem echten Kulturwandel mitwirken.

Die Standardisierung von Daten ist das Herzstück des Programms DigiSanté. Der Effizienzgewinn wird erheblich sein, wenn die Systeme aller Partner im Gesundheitswesen ohne Hindernisse miteinander kommunizieren können: Überflüssige Untersuchungen werden vermieden, und es kann darauf verzichtet werden, dieselben Daten in mehreren Registern zu speichern. Davon werden alle profitieren, natürlich auch die Patient:innen. Um diesen Fortschritt zu ermöglichen, müssen jedoch die gleichen Standards akzeptiert und die notwendigen Investitionen getätigt werden.

Ganz allgemein wünsche ich mir, dass alle heiklen Fragen in der Gesundheitspolitik – und es gibt viele davon – ruhig und konstruktiv diskutiert werden.

Welche langfristigen Ziele haben Sie für unser Gesundheitssystem?

Natürlich ist es mir ein grosses Anliegen, dass unser Gesundheitswesen seine hohe Qualität beibehält und gleichzeitig finanzierbar bleibt. Die Sicherheit der Patient:innen muss dabei im Zentrum bleiben. Vertrauen ist ebenfalls wichtig und der Zugang zur Grundversorgung liegt mir sehr am Herzen. Das Gesundheitssystem muss zudem gute Arbeitsbedingungen bieten. Ganz allgemein wünsche ich mir, dass alle heiklen Fragen in der Gesundheitspolitik – und es gibt viele davon – ruhig und konstruktiv diskutiert werden. Wir brauchen Kompromisse, die für alle annehmbar sind, damit wir in einem Vertrauensverhältnis voranschreiten und die Reformen umsetzen können, die unser Gesundheitssystem benötigt. Die einheitliche Finanzierung von Gesundheitsleistungen, über die wir am 24. November abstimmen, ist ein gutes Beispiel dafür.

Beitragsbild: Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider leitet das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) seit dem 1. Januar 2024 (Foto: Bundeskanzlei/Béatrice Devènes).