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28. August 2024

BFS, Universität Freiburg und Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften

Senior:innen werden älter und fühlen sich jünger

Die Lebenserwartung der Schweizer Bevölkerung steigt und nach der Pensionierung besteht die Aussicht auf einige gesunde Lebensjahre, die aktiv genutzt werden können. Subjektiv fühlen sich Senior:innen erst mit 80 Jahren alt. Ungleichheiten lassen sich bei der finanziellen Situation, der Gesundheit und der sozialen Partizipation feststellen. Bei der Politik in der Langzeitpflege zeigen sich grosse regionale Unterschiede.
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Die neue Publikation «Panorama Gesellschaft Schweiz» beleuchtet in neun Kapiteln verschiedene Aspekte des Älterwerdens und des Alters. Ziel ist es, ausgewählte Themen zu vertiefen. Dabei entsteht ein differenziertes und vielschichtiges Bild verschiedener Aspekte und Dimensionen des Alterns in der Schweiz.

Der subjektiv gefühlte Beginn des «Altseins» hat sich von durchschnittlich 69 Jahren (in den 1990er Jahren) auf rund 80 Jahre erhöht.

Die neue Qualität des Alterns

Die heutigen Senior:innen besitzen nicht nur eine höhere Lebenserwartung als frühere Generationen; sie sind in der Regel auch gut ausgebildet und mehrheitlich finanziell ausreichend abgesichert. Zudem bleiben sie zu einem grossen Teil relativ lange gesund. Viele ältere Menschen sind persönlich oder sozial aktiv und tragen so zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Sie entsprechen deshalb nicht mehr dem herkömmlichen defizitären Bild des Alterns. Dies zeigt sich auch bei der eigenen Einschätzung der älteren Menschen: Der subjektiv gefühlte Beginn des «Altseins» hat sich von durchschnittlich 69 Jahren (in den 1990er Jahren) auf rund 80 Jahre erhöht.

Allerdings schützt die längere Lebenserwartung nicht vor Krankheiten und körperlichen Einschränkungen. Zudem kumulieren sich über den gesamten Lebensverlauf individuelle biographische Ereignisse sowie Bevor- und Benachteiligungen systematisch bei bestimmten Bevölkerungsgruppen aufgrund von Geschlecht, sozialer Herkunft oder Migrationshintergrund.

Mehr ambulante Pflege

Bei den Lebens- und Haushaltsformen oder bei der nachberuflichen Lebensgestaltung zeigt sich eine wachsende Vielfalt. Vor dem Hintergrund der steigenden Lebenserwartung und Diversität hat sich auch die Langzeitpflege verändert. Die institutionelle Pflege (Alters- und Pflegeheime) ist rückläufig, die ambulante Pflege und intermediäre Modelle (Tagesbetreuung, Nachtbetreuung, Kurzaufenthalte in Alters- und Pflegeheimen, Alterswohnungen etc.) nehmen an Umfang zu. Die Grenzen zwischen stationärer Versorgung und dem Verbleib im häuslichen Umfeld verschwimmen immer mehr. Diese Entwicklung ist zwar generell, zwischen den Regionen und Kantonen bestehen aber grosse Unterschiede.

Regionale Unterschiede

Im Rahmen der Studie zu den Prognosen des zukünftigen Bedarfs an Alters- und Langzeitpflege in der Schweiz (Pellegrini et al. 2022) wurde eine Clusteranalyse durchgeführt, um Gruppen von Kantonen mit einer ähnlichen Versorgungspolitik im Bereich der Langzeitpflege zu identifizieren. Die Analyse basierend auf Daten von 2019, liess vier Gruppen erkennen:

  • Stark ambulant-orientierte Kantone (GE, JU, NE, TI und VD)
  • Zunehmend ambulant-orientierte Kantone (BE, BS, FR und VS)
  • Stationär- und ambulant-orientierte Kantone (AG, BL, GR, NW, OW, TG, SO, ZG und ZH)
  • Stationär-orientierte Kantone (AI, AR, GL, LU, SG, SH, SZ und UR)

Die drei zugrundeliegenden Indikatoren der Clusteranalyse sind die Intensität der Inanspruchnahme von Pflegeheimen, die Intensität der Inanspruchnahme von häuslicher Pflege und der Anteil der Bewohnerschaft von Pflegeheimen, die keine oder leichte Pflege benötigen.

 

Gruppen von Kantonen mit ähnlicher Politik im Bereich der Langzeitpflege, 2019 BFS

 

Zwischen den Regionen, die am meisten und am wenigsten auf eine ambulante Versorgung ausgerichtet sind:

  • variiert die Rate der Inanspruchnahme von Pflegeheimen 2019 zwischen 4,1 und 6,0 Prozent der älteren Bevölkerung: Ein Beispiel zur Veranschaulichung ist der Kanton Glarus, in welchem der Anteil der Personen ab 65 Jahren, die im Pflegeheim wohnen, rund 1,5-mal grösser als im Kanton Genf ist;
  • schwankt die Rate der Inanspruchnahme von häuslicher Pflege um das Doppelte. 2019 nahmen 17,5 Prozent der älteren Bevölkerung in ambulant-orientierten Kantonen mindestens einmal im Jahr häusliche Pflege in Anspruch. In stationär-orientierten Kantonen waren es 8,1 Prozent;
  • liegt das Verhältnis des Anteils der Personen in Pflegeheimen, die keine oder leichte Pflege benötigen, bei 1:10. In den ambulant-orientierten Kantonen finden sich 2,3 Prozent der Bewohnenden in den Pflegestufen 0–2, während in den stationär ausgerichteten Kantonen durchschnittlich 23,3 Prozent der Bewohnerschaft in den Pflegestufen 0–2 zu finden sind.

Diese Unterschiede spiegeln sich auch in anderen Merkmalen der Versorgung wider; beispielsweise im Alter bei Eintritt ins Pflegeheim (höher in den ambulant-orientierten Kantonen), in der Aufenthaltsdauer (kürzer) und in der Anzahl der von den Spitex-Diensten geleisteten Pflegestunden (höher).

Das Credo «die richtige Person, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit» gewinnt zunehmend an Bedeutung. Seine Umsetzung erfordert jedoch die Möglichkeit, die Leistungen an den Bedarf anpassen und sogar nahtlos von einem Pflegekontext in einen anderen übergehen zu können.

Die Leistungen an den Bedarf anzupassen und nahtlos von einem Pflegekontext in einen anderen übergehen zu können, gewinnt an Wichtigkeit.

Gegenwärtig schränken organisatorische und finanzielle Herausforderungen diese Möglichkeiten noch ein. Man denke hier an die Diskussionen über die Finanzierung von Betreuungsleistungen oder die finanziellen Schwelleneffekte beim Zugang zu Alters- und Pflegeheimen sowie betreutem Wohnen.

Beitragsbild: Canva.com