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14. Juni 2022

BACKGROUND

Long COVID

«Ohne Krankheit wäre ich vielleicht in der Ukraine»

Manuela Bieri ist Pflegefachfrau und im September 2020 an COVID-19 erkrankt. Bis heute leidet sie an den Folgen der Infektion und kämpft nun für die Anerkennung und Hilfe von Betroffenen.
Competence Sarah Fogal

Autorin

Sarah Fogal

Redaktionelle Koordination Competence

sarah.fogal@hplus.ch

Manuela Bieri, Pflegefachfrau (Foto: zvg)

Die Bernerin Manuela Bieri ist YB-Fan. Wenn sie an einen Match geht, liegt sie danach drei Tage im Bett, um sich davon zu erholen. Auch im Vorfeld geht sie mit ihren Energiereserven äusserst sparsam um. «Das ist es mir wert, aber der Preis ist hoch», erzählt sie. Die Pflegefachfrau mit Fachausweis Intensivpflege war im Inselspital Bern angestellt, als sie im Herbst 2020 an COVID-19 erkrankte. Seitdem ist nichts mehr, wie es war: Die 41-Jährige leidet an Long COVID. Manuela Bieri war eine kerngesunde, sportlich aktive Frau, bevor sie sich mit COVID-19 ansteckte. Sie arbeitete festangestellt in einem Temporärbüro, das Pflegefachpersonen vermittelt und hatte dort eine Führungsposition inne. Gleichzeitig vermittelte sie sich regelmässig an Spitäler, um im Beruf zu bleiben. Heute kann sie nicht mehr im Pflegeberuf arbeiten, hat aber noch eine 10-Prozent-Anstellung im Temporärbüro. Im Herbst 2020 arbeitete sie im Inselspital und wurde in der zweiten Welle angesteckt. «Ich habe mir damals gedacht, jenu, jetzt hat es mich halt erwischt», erzählt Manuela Bieri. Sie isolierte sich, auch weil sie niemanden anstecken wollte, litt an Darmproblemen sowie an den klassischen Grippesymptomen wie Halsweh, leichtem Fieber sowie starken Kopf- und Gliederschmerzen. Auch war sie sehr müde, verspürte aber keine Atemnot. Nach 14 Tagen ging sie wieder zur Arbeit. «Ich war immer noch müde, aber schlecht ging es mir eigentlich nicht», erinnert sie sich.

Sechs Wochen später hatte Manuela Bieri wieder dieselben Symptome, wurde aber negativ getestet. Diesmal jedoch litt sie unter Atemnot und starkem Sauerstoffsättigungsabfall nach kurzer physischer Betätigung, was später auch eine Lungenspezialistin bestätigte. Auch sonst unterzog sich Bieri vielen ­Abklärungen, Long COVID war damals aber noch kein Thema: «Ich bin von Arzt zu Arzt gegangen. Da ich für das Rote Kreuz im Einsatz gewesen war, wurden auch Krankheiten wie Malaria abgeklärt.» Im Winter 2020 sah sie einen Fernsehbericht über Florence Isler, Vize-Präsidentin von Long Covid Schweiz, die ihre Symptome beschrieb: «Da dachte ich mir, genau das habe ich.»

Energiereserven über den Tag verteilen

Im Februar 2021 besuchte die Pflegefachfrau eine der ersten Long COVID-Sprechstunden des Inselspitals Bern. Sie lernte, dass es für Long COVID keine eigentlichen Therapien gibt, sondern nur Symptomlinderungsansätze. Im Mai 2021 besuchte sie eine Reha und lernte dort beispielsweise, wie sie mit ihren Energiereserven umgehen kann (auch «Pacing» genannt). Das habe nicht nur von ihr ein Umdenken gebraucht, sondern auch von den Ärzt:innen und Therapeut:innen: «Normalerweise versucht das Gesundheitspersonal nach einer Krankheit oder einem Unfall die Leute zu mobilisieren, damit sie wieder zu Kräften kommen. Bei Long COVID geht das nicht. Pacing heisst, seine Energiereserven über den Tag hinweg gut zu verteilen.» Das sei die grösste Herausforderung überhaupt: «Es ist schwierig zu akzeptieren, dass ich mich nach dem Duschen wieder hinlegen muss».

Einsätze beim Schweizerischen Roten Kreuz

«Meine Hobbies, meinen Job, alles kann ich nur noch sehr eingeschränkt machen», erzählt die Bernerin. «Wir sind früher viel gereist und wäre ich nicht krank, so wäre ich heute vielleicht für das Schweizerische Rote Kreuz in der Ukraine. Ich habe gelebt für solche Sachen, nun bin ich nur noch Zuschauerin.» Schon nur einkaufen oder die Wohnung putzen sei anstrengend, geschweige denn an ein Konzert oder eben an einen Fussball-Match zu gehen. Trotzdem klingt Manuela Bieri im Gespräch zuversichtlich: «Ich habe an Lebensqualität gewonnen, seit ich akzeptiert habe, was ich habe und gelernt habe, wie ich mit meiner Krankheit umgehen muss». Trotzdem ist sich die Pflegefachfrau fast sicher, dass sie nicht mehr ganz gesund wird und spricht von einer «Chronifizierung der Krankheit». Sie sei nun schon seit eineinhalb Jahren davon betroffen und bei ähnlichen Krankheiten wie zum Beispiel beim Chronic Fatigue Syndrom komme es nach so langer Zeit zu keiner Verbesserung mehr: «Es ist einfach Sch… Das kann man nicht beschönigen.»

Manuela Bieri arbeitet aktuell zehn Prozent – mehr geht nicht: «Ich kann mich bis zu einer Stunde konzentrieren, leide aber nebst der starken Müdigkeit zeitweise an Brainfog und habe Wortfindungs- und Konzentrationsschwierigkeiten. Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, aber unter diesen Umständen wäre auch eine Umschulung auf einen anderen Beruf nicht möglich.»

Aktiv für eine Akzeptanz von Long COVID

Heute ist Manuela Bieri Vorstandsmitglied des Vereins Long Covid Schweiz und setzt sich für eine bessere Akzeptanz der Krankheit auf gesellschaftlicher wie auch auf politischer Ebene ein. Ebenso für neue Therapieansätze, die Long COVID-Patient:innen helfen könnten. In Deutschland gebe es beispielsweise die sogenannte Help-Apherese, eine Blutwäsche, die bei Long COVID-Symptomen helfen könnte. In der Schweiz gibt es sie auch, bei einer Erkrankung an Long COVID sei sie aber nicht krankenkassenanerkannt. «Der Vorgang der Blutwäsche muss fünf bis zehnmal durchgeführt werden, Kostenpunkt zwischen 10 000 und 20 000 Franken.» Es gebe auch andere Therapieansätze, die Schweiz hinke beim Angebot aber hinterher, auch das Interesse der Forschung an der Krankheit sei gering, es sei halt noch eine junge Krankheit. «Das Bundesamt für Gesundheit unterstützt eine Studie zu einem neuen Medikament, es geht aber vier bis fünf Jahre, bis erste Ergebnisse vorliegen», weiss Manuela Bieri und fügt an: «Wir brauchen aber jetzt Hilfe, darum sollten mögliche Therapien von Krankenkassenseite mitfinanziert werden.» Help-Apherese könne sie sich von ihren Ersparnissen leisten, andere Personen aber nicht, was sie unfair findet: «So haben wir eine Zweitklassenmedizin.»

Die Pflegefachfrau weist darauf hin, dass sie die Gesellschaft und den Staat aktuell viel Geld kostet. Im Moment erhält sie Gelder von der SUVA, die aktuell ihren Invaliditätsgrad abklärt. «Ich hatte Glück, dass die SUVA meine Krankheit als Unfall anerkannt hat. Ich kenne viele betroffene Pflegende, die nicht dieselbe Hilfe erhalten», sagt sie mit Nachdruck. Manuela ­Bieri erhält von der SUVA ein Unfalltaggeld und die Versicherung bezahlt die aktuellen Gesundheitskosten. Betreffend einer IV-Rente macht sie sich keine grossen Hoffnungen: «Ich habe von Betroffenen gehört, deren IV-Gesuche bereits abgelehnt wurden.» Die Schwierigkeit bestehe darin, dass man die Krankheit eben nicht beweisen könne.

Auch an die Adresse der Politik findet die 41-Jährige klare Worte: «Ihr wolltet die Öffnung, nun müsst ihr aber auch die Konsequenzen tragen. Steht für uns Kranke ein, nur Physio und Ergotherapie reichen bei Long COVID nicht aus.» Welcher Ratschlag gibt sie Long COVID-Betroffenen? «Sucht einen guten Hausarzt, eine gute Hausärztin, der oder die eure Symptome bzw. Long COVID ernst nimmt. Danach wendet euch unbedingt an eine Long-COVID-Sprechstunde.»

Mehr Informationen: www.long-covid-info.ch

Beitragsbild: Manuela Bieri 2019 im Einsatz für das Rote Kreuz in Bangladesch – heute leidet sie an Long COVID (Foto: SRK)