In unserer Arbeit beim PZM Münsingen haben wir festgestellt, dass im eigenen Haus – wie auch in der Schweizer Psychiatrie – viele Qualitätsmanagement-Zahlen, Daten und Fakten (ZDF) erhoben werden, diese aber am Ort der effektiven Wertschöpfung im Patientenprozess wenig genutzt werden. Es entstehen Datenfriedhöfe. Gleichzeitig haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir die Vorgabe der neuen Qualitätsstrategie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) vom März 2022 umsetzen: Den Einsatz von Patient Reported Experience Measures (PREMs) und Patient Reported Outcome Measures (PROMs) für eine bessere Abstimmung der Leistungserbringung auf die Präferenzen, Bedürfnisse und Werte der Patient:innen und gleichzeitig die Stärkung einer evidenzbasierten Praxis.
Darüber hinaus wollen wir einen Beitrag leisten, wie das Grundsatzthema Qualität mit den Grundsatzthemen Wirtschaftlichkeit und Eigene Resilienz verknüpft werden kann. Angesichts des Kostendrucks und der fortschreitenden Ökonomisierung sowie hoher Krankenstände und Fluktuationen im Gesundheitswesen wollen wir den Elefanten im Raum damit gezielt und nachhaltig «anpacken». Aus dieser «Elefantenlenkung» ist unser dezentrales Selbstwirksamkeitskonzept Max und Anna entstanden (siehe Grafik).
Ein Ansatz, den wir aktuell in vier Organisationsbereichen im PZM Münsingen pilotieren und umsetzen. Mit diesem Konzept werden die Stations- und Bereichteams innerhalb klarer Leitplanken in ihrer Bewusstheit und Selbstwirksamkeit gestärkt und befähigt, so dass sie im Patientenprozess im Rahmen eines nachhaltigen Führungswandels das Steuer punkto Qualität, Wirtschaftlichkeit und eigene Resilienz in die Hand nehmen. Dies auf der Basis von wenigen, dafür aber aussagekräftigen und verknüpften Daten.
Max und Anna sind fiktive Patienten-Personas aus dem Design Thinking (Gestaltendes Denken). Design Thinking als Haltung und Methodik zielt auf eine innovative und nachhaltig transformative Problemlösung ab. Max und Anna helfen unseren Stationen und Bereichen, sich in ihrer Arbeit vor Ort auf das, was wesentlich und entscheidend ist, zu konzentrieren und damit Kraft und Energie einzusparen. Die Kräfte werden gebündelt und vorhandene Friktionen und Konflikte zwischen den Berufsgruppen können reduziert werden. Konkret wird der Fokus auf die folgenden drei Lösungskomponenten gelegt:
Die Erfahrungen mit diesem personenzentrierten und dezentralen PREMS- und PROMs-Ansatz am Ort der effektiven Wertschöpfung sind eindrücklich und ermutigend. Das beteiligte Fachpersonal ist immer wieder überrascht, was für Erkenntnisse sie durch die Schlüsselmoment-Erfassung gewinnen und wie sie dadurch eine grössere Wirkung bei den Patient:innen erzielen können. Damit gewinnt ihre Arbeit an Sinnhaftigkeit. Wie zum Beispiel beim Fall einer Patientin, die bei einem Schlüsselmoment-Gespräch ihre Besorgnis zur Betreuung ihrer Kinder während ihrem Klinikaufenthalt äusserte, was für sie eine grosse Belastung war. Das Fachpersonal konnte in der Folge seine Hilfe dazu anbieten und regelmässig die Patientin darauf ansprechen. Die Folge: Die Patientin konnte sich entspannen und fühlte sich sicher und vertrauensvoll aufgehoben. Dies ist entscheidend für den Behandlungserfolg.
Die Implementierung von Max und Anna als Pilot- und Umsetzungskonzept zeigt folgende erste Resultate auf:
Mit diesem integralen Ansatz wird die Basis für Qualität, Wirtschaftlichkeit und die Eigene Resilienz geschaffen. Unsere Teams lernen damit strukturiert und bewusst, die schon lange geforderte nutzenbasierte Gesundheitsversorgung umzusetzen, indem sie in sinnvollen Patient:innen- und weiteren Ergebniskategorien in Relation zu den Kosten konsequent zu denken und handeln lernen. Wir können damit Menschen und Teams stärken und entwickeln, die selbstverantwortlich, engagiert und mitunternehmerisch im Sinne des Unternehmensauftrags handeln.
Darüber hinaus wird mit diesem strukturell und kulturell transformativen Ansatz der Wandel von einer traditionell «Von oben herab»-Führung mit steilen Hierarchien und Silos im Gesundheitswesen hin zu einer demokratischeren, modernen und zeitgemässen Führung beschleunigt. Von einer Führung, die vielerorts von den Mitarbeitenden bis jetzt nicht erwartet hat, aktiv mitzudenken und mitzuhandeln hin zum Vorleben und zur Stärkung von gemeinsamen Grundwerten wie Klarheit, Transparenz und aktive Teambeteiligung sowie der eigenen Sinnhaftigkeit, menschlich wie auch betriebswirtschaftlich. Durch eine solche bewusste und verknüpfte Datenpraxis können wir einen Beitrag an ein stabiles Fundament leisten, das ein prosperierendes Gesundheitswesen langfristig trägt und auch unterstützt.