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12. Dezember 2022

FOCUS

Sicht der FMH

Mangel an Ärzt:innen – Engpässe mit Ansage

Nicht nur unsere Energieversorgung ist vom Ausland abhängig, sondern auch unsere Versorgung mit Ärzt:innen. Dies ist seit Jahrzehnten bekannt – und wird trotzdem nicht wirksam angegangen.
Competence Yvonne Gilli

Autorin

Dr. med.

Yvonne Gilli

Präsidentin der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH)

yvonne.gilli@fmh.ch

Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen stehe vor einer «gnadenlosen Zuspitzung» titelte die Presse diesen Oktober und prognostizierte 40 000 fehlende Pflegekräfte und 5500 fehlende Ärzt:innen bis 2040.¹

Ab dem Jahr 2011 stammen um die 70 Prozent der neuen Arztdiplome aus dem Ausland.

Diese Entwicklung ist nicht nur in Bezug auf die Pflege, sondern auch für Ärzt:innen schon lange bekannt. So weist die Ärztestatistik der FMH regelmässig auf unsere starke und immer weiter steigende Abhängigkeit vom Ausland hin. Bereits 2014 hatten 31 Prozent unserer berufstätigen Ärzt:innen ihr Medizinstudium im Ausland absolviert, 2021 waren es schon 38 Prozent.²

Und dieser Anteil wird weiter steigen, wie die BAG-Statistik in der nachfolgenden Grafik zeigt: Schon vor 2011 bestanden die jeweils neu hinzukommenden Arztdiplome zu über der Hälfte aus anerkannten ausländischen Diplomen. Ab dem Jahr 2011 stammten sogar jeweils um die 70 Prozent der neuen Arztdiplome aus dem Ausland.³

Eidgenössische (blau) und anerkannte ausländische Diplome (pink) in Humanmedizin seit 2004 (Grafik: Medizinalberuferegister BAG, Medizinalberufekommission).

Hausärzt:innenmangel: eine Folge der Auslandabhängigkeit

Wer Fachkräfte benötigt, sollte also Fachkräfte ausbilden. Nur so liesse sich auch der besonders starke Mangel an Hausärzt:innen mildern. Denn entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis fehlen uns die Grundversorger:innen nicht, weil es den Nachwuchs v. a. in die Spezialdisziplinen zieht, sondern weil sie sehr viel seltener aus dem Ausland zu uns kommen: Von den 2021 erteilten 1794 eidg. Weiterbildungstiteln gingen 44,3 Prozent an Grundversorgungsdisziplinen wie Allgemeine Innere Medizin, Kinder- und Jugendmedizin und Praktische Ärztin/Praktischer Arzt. Von den im selben Jahr 1316 aus dem Ausland anerkannten Weiterbildungstiteln deckten lediglich 30,7 Prozent diese Disziplinen ab. Das Ausland füllt unsere Lücken also v. a. bei den Spezialist:innen – aber weniger bei den Grundversorger:innen.

Auch «Teilzeit» ist oft mehr als Vollzeit

Hinzu kommt, dass die nachrückende Ärzt:innengeneration die zu langen Arbeitszeiten immer weniger akzeptiert. Nach wie vor beträgt die Arbeitszeit einer ärztlichen Vollzeitstelle rund 55 Wochenstunden⁴ – und verstösst damit gegen das Gesetz. Durch «Teilzeitarbeit» arbeiten die Ärzt:innen heute durchschnittlich «nur noch» 48 Wochenstunden. Obwohl die Arbeitspensen also immer noch hoch sind, hat sich die Zeit für die Versorgung von Patient:innen bereits klar reduziert – und auch dieser Trend wird sich weiter fortsetzen.

Wirksame Strategien erfordern zwei politische Eingeständnisse: Erstens, dass es einen Fachkräftemangel gibt und zweitens, dass es Geld kosten wird, diesen zu beheben.

Die Politik verkennt und verstärkt das Problem

Leider verstärkt die Politik den Fachkräftemangel eher als ihn zu lindern. Das Zulassungsgesetz und die Kostendämpfungspakete betrachten v. a. «Überversorgung» als Problem, nicht aber die Versorgungssicherheit. Die Prognosen des Bundes zum Bedarf an Me­dizinstudienplätzen gehen an der Realität vorbei. So berechnete er 2011 in seiner «Strategie gegen Ärztemangel und zur Förderung der Hausarztmedizin», die Schweiz müsse «in Zukunft zwischen 1200 und 1300 Ärztinnen und Ärzte pro Jahr» ausbilden, um das «heute verfügbare Arbeitsvolumen vollständig mit in der Schweiz ausgebildeten Medizinalpersonen» zu halten. Bereits 2011 kamen jedoch allein aus dem Ausland 1930 Ärztinnen und Ärzte zu uns – also deutlich mehr als man zukünftig ausbilden wollte, um den gesamten Bedarf zu decken (siehe oben Abbildung 1).

Sogar kontraproduktiv sind die aktuellen Bestrebungen, den Kostendruck immer weiter zu erhöhen. Dies treibt Fachkräfte in die Teilzeit oder ganz aus dem Beruf. Auch die politische Vorstellung mit immer mehr Mikroregulierung Effizienz zu erreichen, führt in der Praxis lediglich zu mehr Administration – im Umfang von jährlich etwa 100 neuen ärztlichen Vollzeitstellen – und zu noch weniger Zeit für die Patient:innen.

Wirksame Strategien erfordern jedoch zwei politische Eingeständnisse: Erstens, dass es einen Fachkräftemangel gibt und zweitens, dass es Geld kosten wird, diesen zu beheben. So stünde den längst bekannten Lösungen nichts mehr im Weg: Die Ausbildungszahlen würden erhöht und der Nachwuchs könnte mit guten Rahmenbedingungen im Beruf gehalten werden.

1Tagesanzeiger, 9.10.2022; www.tagesanzeiger.ch/studie-sieht-bis-2040-gnadenlose-zuspitzung-674471341227

2Schweizer C, Hostettler S, Kraft E. Gute medizinische Versorgung braucht genügend qualifizierte Fachkräfte; Schweiz Ärzteztg. 2022;103(12):379-381; https://saez.ch/article/doi/saez.2022.20632

3Büro BASS im Auftrag des BAG 2022, Ärztinnen und Ärzte. www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/statistiken-berufe-im-gesundheitswesen/statistiken-medizinalberufe1/statistiken-aerztinnen-aerzte.html

4Hostettler S, Kraft E. FMH-Ärztestatistik 2021, Jeder vierte Arzt ist 60 Jahre alt oder älter. Schweiz Ärzteztg. 2022;103(13):414-419; https://saez.ch/article/doi/saez.2022.20609#:~:text=Das%20Arbeitspensum%20der%20%C3%84rztinnen%20und,(9%2C4%20Halbtage)

Beitragsbild: Tima Miroshnichenko auf Pexels

   

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