Es fehlt heute eine gesetzliche Regelung hinsichtlich dessen, wie die Sterbephase eines Patienten bzw. einer Patientin bedarfsgerecht vergütet werden soll. Eine umfassende bio-psycho-sozial-spirituelle Begleitung der Betroffenen wird bisher nicht als kassenpflichtige medizinische Aufgabe angesehen. Hingegen werden intensivmedizinische, interventionelle oder invasive Massnahmen, wie z. B. Koronarstents oder Radiotherapien problemlos von der OKP übernommen, auch wenn diese für Menschen am Lebensende keinen palliativen Nutzen bringen. Damit kann aber der der falsche Anreiz bestehen, solche in palliativer Hinsicht nicht sinnvolle Massnahmen selbst kurz vor dem Tod eines Patienten noch anzuwenden, was den Sterbeprozess nur hinauszögert und belastet, statt ihn zu lindern.
Eine umfassende bio-psycho-sozial-spirituelle Begleitung der Betroffenen wird bisher nicht als kassenpflichtige medizinische Aufgabe angesehen.
Die Palliative Care ist deshalb zwingend im KVG zu verankern. Dies bedeutet, dass etwa psychosoziale und spirituelle Leistungen sowie Beratungsleistungen, z. B. im Rahmen der gesundheitlichen Vorausplanung, als KVG-pflichtige Leistungen anzuerkennen sind.
In unserer Befragung von Herbst 2022 vermeldet eine Mehrheit der antwortenden Betriebe, bezogen auf die letzten fünf Jahre, eine Zunahme der Anzahl palliativer Hospitalisierungen sowie auch der ambulanten Palliative Care-Leistungen. Dies entspricht einer erhöhten Nachfrage nach diesen Leistungen. Die Befragung hat aber auch gezeigt, dass das Angebot noch nicht in allen Regionen der Schweiz ausreichend vorhanden ist.
In den letzten fünf Jahren hat die Anzahl der palliativen Hospitalisierungen und der ambulanten Palliative Care-Leistungen zugenommen. Das Angebot reicht aber nicht in allen Regionen aus.
Ein Hauptgrund liegt in der anhaltenden Unterfinanzierung in den aktuellen Tarifsystemen. Leistungen der stationären Palliative Care werden in SwissDRG (Akutsomatik), TARPSY (Psychiatrie) und ST REHA (Rehabilitation) abgebildet. In SwissDRG resultierten allein 2020 nicht gedeckte Kosten von insgesamt 68 Millionen Franken für palliative Behandlungen. Dies entspricht einer Deckungslücke von 19 Prozent. Zwar führt die SwissDRG AG jährlich Systemrevisionen durch, was punktuell auch zu Verbesserungen führt, zum Beispiel bei der Abbildung von Langliegern (Patienten mit einer Aufenthaltsdauer von mehr als 28 Tagen). Aber das reicht nicht. Es braucht eine Gesamtschau, um eine wirklich sachgerechte Abbildung der stationären Palliative Care zu erreichen. In diese Gesamtschau ist auch die pädiatrische Palliative Care einzubeziehen. H+ hat daher bei der SwissDRG AG beantragt, dass Palliative Care für die Systemrevision 13.0 (2024) als Entwicklungsschwerpunkt definiert wird.
In SwissDRG resultierten allein 2020 nicht gedeckte Kosten von 68 Millionen Franken für palliative Behandlungen.
Allerdings ist zu sagen, dass eine hundertprozentige Abbildungsgenauigkeit schwer zu erzielen ist, da palliative Patient:innen eine kleine, heterogene Gruppe bilden und sich von der Diagnose nicht auf die individuelle Komplexität der Patient:innen (und deren Umfeld) schliessen lässt. Deshalb sollten nach Meinung von H+ auch Alternativen zum Fallpauschalensystem geprüft werden. Eine Möglichkeit wäre die Abbildung der Leistungen in nach Schweregrad abgestuften Tagespauschalen, wie das beispielsweise in Australien erfolgreich praktiziert wird. Dieses Modell könnte auch für die Finanzierung von Hospizleistungen interessant sein.
In der Tat orten unsere Mitglieder in diesem Bereich den dringendsten Nachholbedarf. Die Finanzierung ist noch prekärer als in der Akutsomatik. Gemäss Polynomics (2020) ergeben sich für Hospize und spezialisierte Abteilungen von Pflegeheimen nicht gedeckte Kosten von rund einem Drittel. Der zeitliche Mehraufwand für stationäre Palliativpflege wird in der heutigen Pflegefinanzierung nicht abgegolten. Kurzfristig braucht es daher eine Erweiterung der Pflegebedarfsstufen über die heute geltenden maximal 240 Pflegeminuten pro Tag hinaus. Die komplexkranken und zu Beginn oft instabilen Patient:innen benötigen jedoch nebst aufwändiger Pflege zusätzlich einen Mix an ärztlichen, therapeutischen, psychosozialen, seelsorgerischen und beratenden Leistungen, was weder durch die Pflegefinanzierung noch durch die geltenden Tarife annähernd abgedeckt wird. Daher drängt sich für sozialmedizinische Institutionen eine Lösung mittels Pauschalen auf, die analog Spitalfinanzierung auch die Kosten für Hotellerie einschliessen. Hierbei lohnt sich ein Blick nach Deutschland.
Das deutsche Hospiz- und Palliativgesetz ist seit 2015 in Kraft und gewährleistet eine nachhaltige und ethisch vertretbare Finanzierung der spezialisierten stationären Palliative Care. Palliativstationen, Palliativkliniken, Hospize und hospizähnliche Strukturen gelten als «besondere Einrichtungen» und können ihre Leistungen mit Tagespauschalen abrechnen.
Auch in der Schweiz könnte dieses Modell im Rahmen eines Pilotprojekts getestet werden, und zwar auf Grundlage des neuen Experimentierartikels 59b KVG. Das Modell hat potenziell kostendämpfende Wirkung, weil die eingangs erwähnten Fehlanreize bei der Behandlung von Menschen am Lebensende beseitigt werden.
Was für ambulante medizinische Leistungen generell gilt, trifft auch auf ambulante Palliative Care zu: Der veraltete TARMED deckt die Kosten bei weitem nicht. Insbesondere Leistungen in Abwesenheit des Patienten sowie konsiliarische Leistungen sind völlig ungenügend tarifiert. Auch die Beiträge für ambulante Pflegeleistungen sind notorisch zu tief angesetzt. Sie decken schon den «normalen» Pflegebedarf nicht ab, geschweige denn den Mehraufwand an Koordinations- und Beratungsleistungen sowie für komplexe Behandlungs- und Grundpflege im palliativen Kontext.
Wie generell bei ambulanten medizinischen Leistungen, deckt der veraltete TARMED auch die Kosten der ambulanten Palliative Care bei weitem nicht.
Die Unterfinanzierung trifft mobile Palliativdienste besonders, weil hier spezialisierte pflegerische und medizinische Leistungen zusammenkommen. Mobile Palliativdienste füllen eine Angebotslücke, einerseits durch die palliative Versorgung von Patient:innen zu Hause, die ansonsten hospitalisiert werden müssten; andererseits indem sie Pflegeheimen ihr Know-how zur Verfügung stellen. Jedoch nehmen gerade Pflegeheime spezialisierte Leistungen von mobilen Diensten zu selten in Anspruch, weil diese via Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) nicht voll abgerechnet werden können.
Der Bundesrat hat die Möglichkeit, die notwendigen Anpassungen in der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) in Eigenregie durchzuführen. Mit der Umsetzung der ersten Etappe der Pflegeinitiative ist er dazu verpflichtet, bei der Bezeichnung der Leistungen den Pflegebedarf von Personen mit komplexen Erkrankungen und von Personen, die palliative Pflege benötigen, zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung soll er unverzüglich wahrnehmen. Zudem ist er gehalten, Empfehlungen an die Tarifpartner auszusprechen, welche Massnahmen diese in eigener Kompetenz umsetzen können und sollen, beispielsweise die Anhebung der Tarife für Leistungen in Abwesenheit des Patient:innen.
Politischer Kontext
Die Motion 20.4264 Für eine angemessene Finanzierung der Palliative Care beauftragt den Bundesrat, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit eine bedarfsgerechte Behandlung und Betreuung aller Menschen am Lebensende schweizweit gewährleistet ist, unter Berücksichtigung der allgemeinen und spezialisierten Angebote der Palliative Care in allen Versorgungsbereichen, ambulant, stationär sowie an Schnittstellen. Die Kantone sind in geeigneter Weise einzubeziehen.
Beitragsbild: Palliativzentrum Kantonsspital St.Gallen