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14. Juni 2022

FOCUS AMBULANTE FINANZIERUNG

Finanzierung an die erwünschte Nachfrage anpassen

Das Wachstum im (spital)ambulanten Bereich ist nicht auf Fehlverhalten zurückzuführen, sondern eine Folge der allseits erwünschten, steigenden Nachfrage. Dem muss die Finanzierung Rechnung tragen.
Competence Hugo Keune

Autor

Hugo Keune

CEO, Kantonsspital Graubünden

hugo.keune@ksgr.ch

Landauf landab wird das Wachstum der Gesundheitskosten allgemein und speziell im ambulanten Bereich beklagt. Mit 21,7 Milliarden Franken machen die ambulanten Kurativbehandlungen tatsächlich nicht nur den grössten Anteil der Gesamtkosten von 82,5 Milliarden Franken (2019) aus, sondern sie haben in absoluten Werten in den vergangenen zehn Jahren auch am stärksten zugenommen. Wohingegen das Kostenwachstum im stationären Bereich seit der Einführung der Fallpauschalen aus Sicht des Bundesrates erfolgreich eingedämmt werden konnte. Und dies wohlgemerkt trotz einer jahrzehntelangen Stagnation bei ambulanten Taxpunktwerten und trotz Tarifstruktur-Eingriff durch den Bundesrat im Jahr 2018.

Hugo Keune, CEO des Kantonsspitals Graubünden (KSGR): «Ist das starke Wachstum im ambulanten Bereich überhaupt ein Problem oder nicht eher eine Erfolgsgeschichte?» (Foto: Frontansicht Poliklinik des KSGR, Ralph Feiner)

Was läuft schief?

Zu kurz greifen die Hinweise auf mögliche Fehlanreize im Einzelleistungstarif TARMED. Anders als bei pauschalen Leistungsabgeltungen gilt im Einzelleistungstarif: Mehr Menge gleich mehr Umsatz. Zwischen Arzt / Ärz­tin und Patient / Patientin besteht immer noch und vermutlich noch lange eine erhebliche Wissens-Asymmetrie. Darum wird der Verdacht geäussert, die Leistungserbringer würden diese Asymmetrie ausnützen, um das eigene Einkommen zu optimieren. Die Realität bei vielen niedergelassenen Ärzt:innen und bei spezialisierten ambulanten Angeboten an Zentrums- oder Universitätsspitälern ist jedoch eine andere. Der spitalambulante Bereich ist in den letzten Jahren stark gewachsen, obwohl in vielen Spitälern gar kein oder kein direkter Zusammenhang mehr besteht zwischen dem Lohn der Ärzteschaft und der abgerechneten Leistungsmenge. Zudem gibt es bei vie­len Spezialist:innen lange Wartezeiten.

Die Nachfrage muss also nicht künstlich erzeugt werden, vielmehr bilden sich lange Wartelisten. Viele Niedergelassene sehen sich sogar gezwungen, keine neuen Patient:innen mehr anzunehmen, weil sie die zahlreichen Anfragen nicht mehr bewältigen können. Es herrscht in vielen Fachgebieten ein Mangel an spezialisierten Arbeitskräften. Darum braucht es einiges an Fantasie, den Spitälern Fehlverhalten aufgrund falscher Anreize vorzuwerfen. Ist es doch gerade der spitalambulante Bereich, der in neun von zehn Spitälern defizitär ist. Jedoch sind die spitalambulanten Leistungen fraglos versorgungsnotwendig. Es handelt sich gerade bei Zentrums- und Universitätsspitälern oft um spezialisierte Angebote mit besonderer Infrastruktur und um Leistungen zugunsten medizinischer Notfälle auch in der Nacht und an Wochenenden.

Kein Problem, vielmehr eine Erfolgsgeschichte

Es stellt sich die Frage, ob das starke Wachstum im ambulanten Bereich überhaupt ein Problem ist oder nicht eher eine Erfolgsgeschichte. Die grosse Nachfrage nach ambulanter Diagnostik und Behandlung hat bei limitierter Infrastruktur und Fachkräfteknappheit zu einer starken Verdichtung und damit zu effizienteren und einfacheren Abläufen geführt. Treiber dieser Entwicklung sind veränderte Bedürfnisse der Patient:innen sowie enorme Innovationen in Diagnostik, Therapie und Kommunikation.

Für die zukünftige Finanzierung von ambulanten Leistungen lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: 

  • Es besteht ein grosses Interesse daran, so viele medizinische Leistungen wie möglich ambulant statt stationär anzubieten.
  • Damit dies noch in stärkerem Mass passiert, braucht es eine sachgerechte und faire Entschädigung der – spitalambulanten – Leistungen.
  • Die ambulanten Preise müssen auch Vorhalte- und Ausbildungsleistungen sowie allgemeine und spezielle Investitionskosten der Spitäler abdecken.
  • Es sollte eine rein medizinische Entscheidung sein, ob eine stationäre Aufnahme einer ambulanten Behandlung vorzuziehen ist.
  • Zusatzversicherte Patient:innen sollten die Wahl zwischen ambulanter oder stationärer Behandlung haben. Mehrkosten sind durch die Zusatzversicherung zu decken. Die freie Arztwahl und der garantierte Zugang zu Kaderärzt:innen sollten durch eine zusätzliche Abgeltung entschädigt werden, egal ob die Behandlung online, ambulant oder stationär erfolgt.
  • Der Kostenteiler zwischen Kanton und Krankenversicherung darf bei stationären Leistungen nicht anders als bei ambulanten sein.
  • Die Tarife bilden sich auf Basis eines Benchmarkings in den Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern. Staatliche Eingriffe inkl. der Angebotsplanung sind nur subsidiär nötig, falls sich die Tarifpartner nicht einigen oder eine Unterversorgung besteht.

Beitragsbild: Patientenzimmer in der Poliklinik des Kantonsspitals Graubünden (Ralph Feiner)