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23. November 2021

Focus

«Wutbürger» bringt Kleinspital an den Rand des Abgrunds

Faktor Mensch in der Krisenkommunikation

Auf externe Angriffe infolge einer Fehlleistung kann sich ein Spital vorbereiten, nicht aber auf eine plötzliche Welle von Falschinformationen.
Competence Bernhard Schneider

Autor

Bernhard Schneider

Vorstandsmitglied Schweizer Verband für Krisenkommunikation

bernhard.schneider@schneidercom.ch

Menschen lösen Krisen aus – und Menschen schaffen den Weg aus Krisen heraus. Oft entstehen Krisen nicht im Zusammenhang mit professioneller Arbeit, sondern als Folge von Kampagnen zu anderen Aspekten.

Soziale Medien als neue Herausforderung

Der Entstehungsprozess von Krisen hat sich in den letzten drei Jahrzehnten beschleunigt. Der Konkur­renzkampf zwischen den Sonn­tagsblättern führte ab den 1990er-Jahren zur Suche nach der besten Story der Woche, die auf ein Publikum stiess, das mehr Musse zur Lektüre fand als werktags. Rasche Reak­tionen der an den Pranger gestellten Personen, Unter­nehmungen oder Spitalbetriebe waren vor der Jahrtausendwende sonntags aber kaum möglich.

Das Internet wurde 2008 mit dem ersten iPhone mobil. Dies gab den sozialen Medien, die ab 2003 entstanden, erst richtig Schub. Soziale Medien ermöglichen es allen, Inhalte zu publizieren und diese auch weiterzuverbreiten. Damit ist u. a. auch für Spitäler eine neue Bedrohungslage entstanden: Nicht nur Recherchen etablierter Medien, sondern auch persönliche Angriffe von Einzelpersonen können seither, flankiert von Inhalten sozialer Medien sowie beliebiger Internet-Plattformen, Krisen auslösen.

Bernhard Schneider: Angriffe sind in den sozialen Medien jederzeit möglich und werden von
den Angegriffenen womöglich erst erkannt, wenn sich bereits eine unüberblickbare Zahl
Unbeteiligter über ein angebliches Fehlverhalten ereifert hat. (Bild: Visual Tag Mx, Pexels)

Schwieriger Umgang mit Fehlinformationen

Reale Fehlleistungen und in den sozialen Medien ausgelöste Krisen begannen sich aufgrund dieser Veränderungen in der Medienlandschaft voneinander zu lösen. Angriffe sind in den sozialen Medien jederzeit möglich und werden von den Angegriffenen womöglich erst erkannt, wenn sich bereits eine unüberblickbare Zahl Unbeteiligter über das angebliche Fehlverhalten ereifert hat. Das Perfide an der Sache: Wer sich einer Fehlleistung bewusst ist, hat die Möglichkeit, sich auf solche Angriffe vorzubereiten. Vorbereitung auf Falschinformationen ist hingegen nicht möglich. Nicht reagieren ist gefährlich, weil dies als Schuldeingeständnis aufgefasst werden kann, unüberlegtes Reagieren kann aber zu derselben Wirkung führen.

Ein Beispiel aus der Spitalwelt

Ein kleines Zürcher Landspital plante 2013, seinen Fortbestand zu sichern, indem es die unflexible Rechtsform eines Zweckverbands in eine gemeinnützige Aktiengesellschaft im alleinigen Besitz der Bezirksgemeinden umwandeln wollte. Eine Einzelperson schaltete im regionalen Anzeiger Inserate mit unzähligen Falschinformationen und massiven persönlichen Angriffen auf involvierte Personen, die der Urheber auf seiner Website weiter ausführte. Es gelang ihm, v. a. Stimmberechtigte, die den Fortbestand des Spitals befürworteten, zu verunsichern, so dass die Vorlage am Einstimmigkeitsprinzip scheiterte:

4 der 14 Gemeinden lehnten die Vorlage ab.

Nach der Abstimmung führte er die Kampagne mit persönlichen Angriffen weiter. So trug er wesentlich dazu bei, dass der Direktor und der ärztliche Leiter das Spital verliessen. Erst 2019 stimmte die Bevölkerung der Umwandlung der Rechtsform zu, nachdem die Spitalbehörden als Konsequenz aus der ersten Abstimmung den erneut vorgebrachten Falschinformationen entschieden entgegengetreten waren. Ein finanzstarker «Wutbürger», wie ihn der Tages-Anzeiger bezeichnete, hatte das Kleinspital an den Rand des Abgrunds gebracht. Die Gegenstrategie, die auf sachlicher Information basierte, wirkte erst langfristig positiv.