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6. Juni 2023

Interna

Interview mit H+ Präsidentin Regine Sauter

«Der Handlungsbedarf bei den Fachkräften ist gross»

Regine Sauter, Nationalrätin und Präsidentin von H+, äussert sich zum Fachkräftemangel, zur Tarifierung ambulante Medizin und zur aktuellen finanziellen Situation der Spitäler und Kliniken.
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Competence Sarah Fogal

Autorin

Sarah Fogal

Redaktionelle Koordination Competence

sarah.fogal@hplus.ch

Frau Sauter, Sie sind nun über 100 Tage im Amt als Präsidentin von H+. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Was hat Sie überrascht, gefreut, was nachdenklich gemacht?

Es war eine intensive Zeit – ich übe das Mandat als H+ Präsidentin ja neben meiner beruflichen und politischen Tätigkeit aus – aber sehr spannend. Mein Ziel war und ist es, mich möglichst rasch in die Themen, welche die Spitäler betreffen, zu vertiefen. Ich habe dabei grosse Unterstützung sowohl von Seiten der Geschäftsstelle als auch den anderen Mitgliedern im Vorstand erhalten. Interessant waren insbesondere die Besuche in verschiedenen Spitälern und Kliniken, die mich im Übrigen darin bestätigt haben, dass wir über ein hervorragendes Gesundheitswesen verfügen. Ich habe dabei aber auch gesehen, wie gross der Handlungsbedarf in Bezug auf die Verfügbarkeit gut qualifizierter Fachkräfte ist, sowohl im ärztlichen als auch im pflegerischen Bereich.

Gibt es Veränderungen, die Sie in Ihrer neuen Funktion bereits anregen konnten oder in die Wege leiten möchten?

Ich gehöre nicht zu jenen, die alles umkrempeln wollen, wenn sie eine neue Funktion antreten. Ich habe Vertrauen in die Kompetenzen der Mitarbeitenden an der Geschäftsstelle und sehe auch das grosse Engagement meiner Kolleginnen und Kollegen im Vorstand. Die wichtigen Themen sind auf der Traktandenliste des Vorstands, daran arbeiten wir. In Bezug auf die politische Wahrnehmbarkeit von H+ ist es mir wichtig, dass wir noch schneller agieren können und als eine wesentliche Stimme in der Gesundheitspolitik wahrgenommen werden.

Wo stehen wir bei der Umsetzung der «Tarifierung ambulante Medizin»? Wird es gelingen, den TARDOC und die ambulanten Pauschalen gemeinsam einzureichen?

Das muss gelingen, das ist für mich klar. Und ich sehe uns dafür auch auf einem guten Weg. Mit der Bildung der neuen Organisation für die ambulanten Arzttarife (OAAT) im letzten November, in der alle Partner vertreten sind, haben diese den entscheidenden Schritt getan. Ich sehe den Willen und das Engagement aller Beteiligten, das Ziel nun gemeinsam zu erreichen. Der TARDOC liegt auf dem Tisch der OAAT, die ambulanten Pauschalen sind in Konsultation. Bis Ende 2023 reichen die Partner ein gemeinsames Konzept beim Bundesrat ein.

Das Ziel, TARDOC und die ambulanten Pauschalen gemeinsam einzureichen, muss gelingen. Wir sind
auf gutem Weg.

Der Mangel an Pflegefachpersonen spitzt sich zu. Die Umsetzung der Pflegeinitiative wird erst in einigen Jahren zu mehr Nachwuchs führen. Welche kurzfristigen Massnahmen sind denkbar bzw. machbar?

Man darf sich keine Illusionen machen, dass hier schnelle Lösungen möglich sind. Die Spitäler und Kliniken sind sich ihrer Verantwortung bewusst; viele arbeiten an neuen Arbeitsmodellen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist im Übrigen auch die richtige Stufe: der einzelne Betrieb. Es ist falsch, zu fordern, dass auf Bundesebene allgemeine Grundsätze definiert werden sollen. Die Situation ist nicht in jedem Spital die gleiche. Letztlich muss man sich aber auch bewusst sein, dass die Forderungen der Pflegefachpersonen, beispielsweise nach längeren Ruhezeiten zwischen den Einsätzen, tieferen Pensen bei gleichem Lohn etc. nur mit mehr Personal umsetzbar sind und auch eine bessere Finanzierung der Spitalleistungen bedingen.

Sehen Sie Entwicklungen in der Frage der Personalressourcen, die Sie trotz allem optimistisch stimmen?

Ich höre von den Pflegefachpersonen, dass sie immer noch überzeugt davon sind, einen sehr schönen Beruf auszuüben, und dass sie diesen nicht aufgeben möchten. Es ist ihnen wichtig, für Menschen da zu sein. Wir müssen darauf achtgeben, dass dies weiterhin so bleibt und an diesem Punkt müssen auch die Massnahmen ansetzen. Die Pflegenden sollten sich in ihrer Tätigkeit wieder mehr den Menschen widmen können und weniger mit administrativen Tätigkeiten absorbiert sein.

Die Notfallstationen der Spitäler und Kliniken sind seit Monaten stark ausgelastet bzw. überlastet. Das Parlament will Notfallgebühren einführen, welche die Spitäler aber als untaugliche Massnahme ablehnen. Wo sehen Sie Lösungsansätze?

Der Hintergrund der Idee einer Notfallgebühr ist es, dass Patientinnen und Patienten sich vor dem Aufsuchen der Notfallstation die Frage stellen sollen, ob dies für ihren Fall der richtige Ort ist. Tatsächlich sehen wir ja in den Notfallstationen vermehrt Patientinnen und Patienten, die bei einem Hausarzt oder bei einer Hausärztin besser aufgehoben wären. Allerdings sieht die Realität anders aus – es fehlt an Hausärztinnen und Hausärzten. Zudem sind die Menschen auch ängstlicher geworden in Bezug auf ihre Gesundheit, wollen möglichst rasch Gewissheit und versprechen sich diese von einem Gang in den Spitalnotfall. Dies zeigt, dass wir für die Zukunft neue Modelle brauchen, auch nur schon aufgrund der Bevölkerungszunahme. Die Entwicklung muss zu integrierten Gesundheitsnetzwerken hingehen, die eine Anlaufstelle im Sinne einer Hausarztpraxis oder Permanence haben. Ein Spital kann in einem solchen Netzwerk das Zentrum bilden.

Die Spitäler werden nicht darum herumkommen, gewisse
Leistungen oder den Leistungsumfang in Frage zu stellen.

Die Einführung des elektronischen Patientendossiers kommt kaum voran, könnte aber helfen, den Administrationsaufwand in den Spitälern und Kliniken zu senken. Wird die Revision des EPDG den Durchbruch ermöglichen? Oder muss der Reset-Knopf gedrückt werden?

Hier müssen wir endlich vorankommen. Es ist beschämend, dass es in der Schweiz bis jetzt nicht möglich war, eine Lösung zu etablieren, die breit getragen wird und einfach genutzt werden kann. Ich sehe hier ein grosses Effizienzpotential, das brach liegt. Eine einheitliche Lösung ist unumgänglich. Dass alle bisherigen Lösungen dafür über den Haufen geworfen werden müssen, denke ich nicht. Wichtig ist aber eine allgemeingültige Definition der Datenstandards und Schnittstellen.

Wie können wir die Spitäler und Kliniken auf eine solide Basis stellen? Die Zeit drängt.

Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte als H+ Präsidentin für den Rest des Jahres 2023?

Viele Spitäler sehen sich im Moment mit grossen finanziellen Schwierigkeiten, ja sogar Unterfinanzierungen, konfrontiert. Dieses Problem zeichnet sich schon länger ab, hat aber mit der steigenden Inflation und den hohen Strompreisen an Dringlichkeit zugenommen. Die Spitäler werden so nicht darum herumkommen, gewisse Leistungen oder den Leistungsumfang zu hinterfragen. Als H+ ist es unser Ziel, sicherzustellen, dass die Versorgung der Bevölkerung weiterhin auf hohem Niveau gewährleistet bleibt. Wir müssen zusammen – H+, Versicherer, Kantone – einen Weg und ein gemeinsames Verständnis dafür finden, welche Leistungen die Spitäler und Kliniken in welchem Umfang und welcher Qualität in Zukunft erbringen sollen und wie sie dafür auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden können. Und die Zeit drängt, es müssen bis Ende 2023 Lösungen auf dem Tisch liegen. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.

Beitragsbild: zvg

   

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