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14. Februar 2023

Background

Lessons Learned

Das Vorbild Mayo Clinic

Die Bedürfnisse der Patient:innen klar an erster Stelle, Shared Leadership, motivierte Mitarbeitende und schnelle Lernprozesse: Eine Gruppe aus ärztlichen Direktoren von Spitälern und Kliniken dreier Schweizer Landesteile bekam während einer Hospitation an der Mayo Clinic in Minnesota einen Eindruck, wie das beste Spital der Welt diese Ziele erreicht.
Competence David Goldblum

Autor

Prof. Dr. med.

David Goldblum

Chief Medical Officer (CMO), Pallas Kliniken, Olten

david.goldblum@pallas-kliniken.ch

Competence Thomas A. Neff

Autor

PD Dr. med. et MBA

Thomas A. Neff

Chief Medical Officer (CMO), thurmed AG & Spital Thurgau AG

thomas.neff@stgag.ch

Competence Daniel Walker

Autor

lic.phil. EMBA HSG

Daniel Walker

CEO walkerproject ag, St.Gallen / Zürich

daniel.walker@walkerproject.com

Die Mayo Clinic, die einem Schweizer Team (siehe Beitragsbild) einen vertieften Einblick gewährt hat, gilt unter Fachleuten als das beste Spital der Welt. Wie kommt aber ein Spital in einer amerikanischen Kleinstadt (Rochester, Minnesota; Einwohnerzahl 125 000) dazu, über lange Zeit das beste von rund 6000 US-Spitälern zu sein? In den USA gibt es mehrere Hospital Ranking Systeme, die zunehmend auch in anderen Ländern angewendet werden.

Alle diese Rankings platzieren die Mayo Clinic Rochester seit Jahren als US-Nummer 1. Die Non-Profit-Organisation Mayo Clinic ist inzwischen zu einem «hospital network» geworden, das über 70 000 Mitarbeitende beschäftigt und jährlich 1,3 Millionen Patient:innen betreut.

The best interest of the patient is the only interest to be considered.

William James Mayo, Rochester

Bedürfnisse der Patient:innen wirklich an erster Stelle

William J. Mayo hatte bereits 1910 den «primary value» formuliert, welcher in der Mayo Clinic gebetsmühlenartig wiederholt wird: «The best interest of the patient is the only interest to be considered». In die heutige Zeit übertragen: die Bedürfnisse der Patient:innen stehen immer an erster Stelle. Es scheint, dass dieses Mantra in der Tat bis heute gelebt wird und einen wichtigen Teil des Erfolgs der Klinik ausmacht. Entsprechend sind alle Bestrebungen darauf ausgerichtet, das Patient:innenerlebnis, die Qualität und die Sicherheit der medizinischen Versorgung zu verbessern.

Führung in geteilter Partnerschaft

Die Mayo Clinic bezeichnet sich als «physician led organization», also als ein von Ärzt:innen geführtes Unternehmen, wobei Führung, und das ist essenziell, als Teamleistung verstanden wird. Diese schliesst alle Disziplinen und Berufsgruppen mit ein und ist immer im Sinne von geteilter Partnerschaft («shared partnership») und mit klar zugewiesener Verantwortung und Verantwortlichkeit («responsibility») gestaltet.

Die Führungsteams sind als «dyad» oder «triad» organisiert, je nachdem, ob neben der ärztlichen sowie einer betriebswirtschaftlichen Vertretung auch noch eine weitere Führungsperson, meistens aus der Pflege, mit in der Verantwortung ist. Dieses Teammodell ist institutionell verankert und alle Führungs- und Leitungsteams sind entsprechend zusammengesetzt. Für Aussenstehende mag diese auf mehrere Köpfe bzw. «dedicated» Teams verteilte Führung verwirrend wirken. Aber in der Mayo Clinic ist dieses Modell überall in der klinischen Patientenversorgung, beim Management zahlreicher Aufgaben auf verschiedensten Organisationsebenen bis hin zu konzernweiten Projekten und Zielen vorzufinden.

Die Prioritäten der Mayo Clinic sind in der Organisation abgebildet: «patient experi­ence», «quality & optimization», «patient & staff safety», «innovation», «financials» etc. Die Wahrnehmung der Führungsaufgabe als Team ist schlagkräftig, breit abgestützt und garantiert aus Sicht der Mayo Clinic, die gesetzten Ziele zu erreichen.

Bei den Mitarbeitenden ist ein unglaublicher Spirit, ein inhärentes Selbstverständnis, ein Stolz über den Mayo-Weg und ein Bewusstsein festzustellen, Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein.

Leidenschaftliche und motivierte Mitarbeitende

Während der gesamten Hospitation, nicht nur im fachlichen Austausch mit diversen Führungsteams, sondern auch bei zahlreichen Mitarbeitenden an der «frontline», welche wir auf unseren Rundgängen treffen durften, erlebten wir in eindrücklicher Art und Weise einen unglaublichen Spirit, ein inhärentes Selbstverständnis, einen Stolz über den Mayo-Weg und ein Bewusstsein, Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein. Allerorts «dedicated people», Mitarbeitende, die ihr gemeinsames Ziel verinnerlicht haben, nämlich primär für ihre Patient:innen da zu sein, ihnen zu Gesundheit und Heilung zu verhelfen, ihre Hoffnung nicht zu enttäuschen und dies mit grösster Hingabe und Verpflichtung. Dies ganz im Sinne der Mayo-Brüder.

Schnelle Lernprozesse

Ein wichtiger Faktor für das Erfolgsmodell Mayo Clinic ist der Wille zur kontinuierlichen Verbesserung, was in der Konsequenz eine Menge an Veränderungen nach sich zieht. Vorhaben zur Verbesserung unterliegen dem aus der Wirtschaft bekannten PDCA-Zyklus. In der Mayo Clinic wird dieser pragmatisch umgesetzt. «Recognize & report», was meint, dass alle Mitarbeitenden angehalten werden, Probleme zu erkennen und zu melden, auch anonymisiert. Dies können banal erscheinende Probleme aus der täglichen Routine sein, aber auch strukturelle oder organisatorische Unzulänglichkeiten. Für alle Themenkreise gibt es sogenannte «review committees» (ca. 30 verschiedene!), die keine Meldung unbeantwortet lassen (dürfen).

Ein engmaschiges, faktenbasiertes Monitoring, ein nachfolgendes Reporting und daraus abgeleitete Konsequenzen, dies sind wesentliche Erfolgsfaktoren der Mayo Clinic.

In gemeinsamer Analyse wird eine zeitnahe «response» ausgearbeitet, was zu einer spezifischen Individuallösung, zu einem grösseren Projekt oder einem strategischen Programm führen kann. Mit ebenso viel Aufwand muss im Anschluss das «learning» gemessen und nachverfolgt werden. Auch hierfür werden Mitarbeitende und Werkzeuge zur Verfügung gestellt. Ein engmaschiges, faktenbasiertes Monitoring, ein nachfolgendes Reporting und daraus abgeleitete Konsequenzen, dies sind wesentliche Erfolgsfaktoren der Mayo Clinic. Um gesetzte Ziele erreichbar zu machen, werden die Problemkreise jeweils priorisiert, und pro Jahr wird nur eine beschränkte und bewältigbare Anzahl an Projekten in Angriff genommen.

Gutes Erlebnis der Patient:innen steigert den Erfolg

Der Fokus der Mayo Clinic liegt auf dem Patient:innenerlebnis, der Qualität der Behandlung, dem Verhindern von Fehlern und Komplikationen, aber genauso auf dem Lernen aus Schwächen und Fehlern, und, davon abgeleitet, auf der stetigen Verbesserung zum Wohle der Patient:innen. Somit überrascht auch der hohe Stellenwert des Patient:innenerlebnisses wenig. Denn für viele Hilfesuchende ist die Mayo Clinic die letzte Hoffnung. Angesichts dieser Tatsache könnte sich ein universitäres Zentrum von Weltruf auf den Standpunkt stellen: wir sind die Besten und die Patient:innen haben sich nach uns zu richten. Doch in der Mayo Clinic läuft es genau andersherum: ein hervorragendes Patient:innenerlebnis beflügelt die Sicherheit, die Qualität, das Engagement der Mitarbeitenden und den ökonomischen Erfolg.

Lessons Learned für die Schweiz

Das von der Mayo Clinic Gelernte ist hilfreich und kann notwendig sein, um die Herausforderungen im Schweizer Gesundheitswesen zu meistern. Der Weg ist bereitet. Jede Institution kann ihn, mit einer Portion Wille zur Veränderung, beschreiten.

Beitragsbild: Vor der Mayo Clinic in Rochester v.l.n.r.: Vital Schreiber, Uster; Christoph Schänzle, Olten; David Goldblum, Olten/Basel; Thomas A. Neff, Münsterlingen / Frauenfeld; Stefan Huber-Wagner, Schwäbisch Hall; Charles Horace Mayo (1865–1939), Rochester; William James Mayo, Rochester (1861–1939); Daniel Joseph Walker, St. Gallen / Zürich; Pietro Cippà, Lugano; Jacques Bernier, Genf; Guy Haller, Genf (Foto: walkerproject ag).

   

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