Chantal Britt war früher leidenschaftliche Marathonläuferin. Heute, drei Jahre nach der Ansteckung durch COVID-19, ist die 54-Jährige bereits nach 200 Metern lockerem Joggen ausgepumpt, ihr Herz rast, und sie ist komplett ausser Atem. Sie kommt im Gespräch dann auch gleich auf den Punkt: «Wenn mir medizinisches Fachpersonal nichts als Antidepressiva verschreiben will, ist dies für mich unverständlich». Psychische Erkrankungen seien bei Betroffenen von Long Covid sicher möglich als Folgeerkrankung, aber nicht ursächlich als Erklärung für die Belastungsintoleranz. Chantal Britt hält fest: «Falsche Diagnosen stellen uns Betroffene vor grosse Herausforderungen. Wir bekommen medizinisch und versicherungstechnisch nicht die nötige Unterstützung.» Bei Langzeit-Betroffenen führt dies zu Problemen, wenn es um Versicherungsleistungen oder eine IV-Rente geht. «Psychische Erkrankungen lassen sich oft durch entsprechende Therapien behandeln oder überwinden. Bei unseren Beschwerden bringt das nichts. Es braucht ein neues Verständnis für den Umgang mit unbehandelbaren chronischen Symptomen, was sich nur schlecht mit den Anforderungen einer IV vereinbaren lässt», erklärt Chantal Britt.
Falsche Diagnosen stellen uns Betroffene vor grosse Herausforderungen. Wir bekommen medizinisch nicht die Unterstützung, die wir benötigen.
Chantal Britt, Präsidentin Long Covid Schweiz
Mit der Patientenorganisation, die Chantal Britt 2021 mitgegründet hat, setzt sich die Präsidentin darum auch dafür ein, dass Long Covid als vaskuläre Erkrankung mit immunologischer Ursache anerkannt wird. «Die Belastungsintoleranz, unter der viele Betroffene leiden, hat in der Regel keine mit Standard-Untersuchungen nachweisbare physische Ursache, sondern ist auf eine immunologisch ausgelöste Dysregulation verschiedener Körperfunktionen zurückzuführen», erklärt Chantal Britt und ergänzt: «So muss das Herz versuchen, eingeschränkte Muskel- und Lungenfunktionen zu kompensieren. Physische Anstrengungen führen darum bei vielen Betroffenen sehr rasch zu erhöhtem Puls und Erschöpfung».
Die Infektion verursacht krankhafte Veränderungen in Blutkörperchen und Blutgefässen sowie Mikro-Gerinnseln und Durchblutungsstörungen, die Blutfluss und Gasaustausch beeinträchtigen. Dies zeigen erste Studien, beispielsweise aus Deutschland. «Dies könnte erklären, warum wir bei Belastung so schnell ermüden», führt die 54-Jährige weiter aus. Die Funktionsstörungen in Herz und Lunge seien messbar, und Belastungsintoleranz könne man beispielsweise mit einer Handkraft-Messung nachweisen.
Als Präsidentin von Long Covid Schweiz vertritt Chantal Britt generell die Interessen von Long Covid-Betroffenen und ihren Angehörigen und macht sich Gedanken, wie Long Covid besser anerkannt, nachgewiesen und behandelt werden kann: «Wichtig ist, dass Hausärzt:innen und Fachpersonal in Spitälern Long Covid korrekt diagnostizieren und ihre Patient:innen aufklären.» Betroffene müssen bei Anzeichen von Belastungsintoleranz Anstrengungen reduzieren und sich so viel Ruhe wie möglich gönnen; dies wird auch Pacing genannt. Das heisst, dass Patient:innen ihre Energiereserven so gut wie möglich über den Tag verteilen und sich nicht übernehmen. «Sonst droht die Gefahr eines Crashs, von dem man sich nur langsam erholt und immer befürchten muss, dass die Symptomverschlechterung bleibend ist; dies ist für viele Betroffene seit Jahren der Alltag», erzählt Chantal Britt von ihren Erfahrungen. Sie erklärt weiter: «Aktivierung durch leistungssteigernde Physiotherapie ist bei Patient:innen mit Belastungsintoleranz darum in den meisten Fällen falsch und sogar gefährlich. Aktivierende Therapie führt oft zu einer Verstärkung der Symptome; schlimmstenfalls enden Patient:innen im Rollstuhl oder werden bettlägerig. Das darf nicht sein.»
Wichtig ist, dass Hausärzt:innen und Fachpersonen Long Covid korrekt diagnostizieren und ihre Paitent:innen aufklären.
Chantal Britt, Präsidentin Long Covid Schweiz
Aktuell bringt Long Covid Schweiz die Sicht der Betroffenen in die medizinischen Leitlinien zur Diagnose und Behandlung von Long Covid mit ein, welche Expert:innen im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit aus arbeiten. Chantal Britt fordert das Gesundheitspersonal auf, den Patient:innen zuzuhören, denn: «Bei Long Covid handelt es um eine postinfektiöse Erkrankung, für die es in der Schweiz nur wenige Spezialist:innen gibt und bis jetzt keine Behandlung. Die Erfahrungen und Beobachtungen der Betroffenen dürften deshalb für forschende und behandelnde Ärzt:innen relevant und wertvoll sein». Es brauche nun aber zwingend auch Studien, damit die chronischen Beschwerden besser verstanden und behandelt werden können. «Wenn wir die Krankheit nicht besser erforschen, sind der Ärzteschaft die Hände gebunden, weil es zu wenig Daten gibt für eine validierte Diagnose und erwiesenermassen wirksame und sichere Behandlungsansätze», sagt Chantal Britt.
Beitragsbild: unsplash.com
Verein Long Covid Schweiz
Die Patient:innen-Organisation Long Covid Schweiz kämpft unter anderem für die folgenden Ziele:
– Anerkennung von Long Covid als Krankheitsbild neuroimmunologischer Ursache.
– Long Covid-Quantifizierung (Erwachsene & Kinder) durch Register/Kohortenstudie und Verlaufsstudien.
– Medizinische Leitlinien zur Diagnose und Behandlung von Long Covid (Schweiz).
– Aus- und Weiterbildung der Ärzteschaft im Bereich Long Covid.
– Schaffung eines Förderungsfonds für interdisziplinäre Forschung zur Diagnostik, Behandlung, Epidemiologie, Mechanismen, Auswirkungen etc. von Long Covid.
– Kompetenzzentren für postinfektiöse Erkrankungen.
– Unterstützung der Betroffenen und ihrer Angehörigen bei der Bewältigung.
– Klären der Verantwortlichkeiten bei den Behörden und der Ärzteschaft.
– Sensibilisierung & Aufklärung der Ärzteschaft, Bevölkerung, Behörden, Politik und der Öffentlichkeit.
Kontakt: Long Covid Schweiz, Mottastrasse 41, 3005 Bern. info@long-covid-info.ch, https://long-covid-info.ch