Benchmark
Competence Readtime3 min
11. Juni 2024

Background

Langfristiger, spitalübergreifender Lernprozess

Benchmarking: Die Kunst, voneinander zu lernen

Von gutem Benchmarking können alle teilnehmenden Spitäler profitieren. Daher systematisieren das Spitalzentrum Biel, die Spital STS AG und das Kantonsspital Winterthur ihren Benchmarking-Prozess.
Competence Matthias Mitterlechner

Autor

Prof. Dr.

Matthias Mitterlechner

Geschäftsführer, Center for Health Care, Universität St.Gallen

matthias.mitterlechner@unisg.ch

Competence Kristian Schneider

Autor

Kristian Schneider

CEO, Spitalzentrum Biel

kristian.schneider@szb-chb.ch

Competence Harald Tuckermann

Autor

Prof. Dr.

Harald Tuckermann

Geschäftsführer, Center for Health Care, Universität St.Gallen

harald.tuckermann@unisg.ch

Als Element der Spitalführung mit Kennzahlen (siehe «Führung mit Kennzahlen wird auch im Spital immer wichtiger», Competence 2/2024) setzen die Schweizer Spitäler zunehmend auf Benchmarking. Beim Benchmarking vergleicht sich eine Gruppe von Spitälern anhand ausgewählter Kennzahlen, beispielsweise in den Bereichen Finanzen, Personal oder Prozesse.

Damit Benchmarking gelingt, sollte es als langfristiger, spitalübergreifender Lernprozess angelegt sein.

Dadurch identifizieren die Spitäler Best Practices, um diese Erfahrungen auf die Benchmarking-Partner zu übertragen. Praktiken sind wiederkehrende Handlungsmuster in der Kernwertschöpfung (z. B. Austrittsplanung), in den unterstützenden Bereichen (z. B. Beschaffung) oder im Management (z. B. Organisationsstrukturen, Muster der Entscheidungsfindung). Benchmarking erfordert erhebliche Ressourcen. Die Praktiken sind kontextspezifisch entstanden und können nicht eins zu eins von einem Spital auf ein anderes übertragen werden. Der jeweilige Kontext besteht aus formalen Regeln und implizitem Wissen, aus gemeinsam definierten Zielen und aus einer spezifischen Kombination materieller Ressourcen wie Geräte, Räume oder Personal.

Auch die führenden Spitäler profitieren

Benchmarking erfordert Vertrauen unter den Partnern, um sich gegenseitig Einblicke in die internen Praktiken zu gewähren. Damit Benchmarking gelingt, sollte es als langfristiger, spitalübergreifender Lernprozess mit folgenden vier Phasen angelegt sein (siehe Grafik):

  1. Spezifizieren: Die Benchmarking-Partner vergleichen sich anhand strategisch relevanter Kennzahlen wie Fallkosten, Personalfluktuation oder Verweildauer. Mithilfe einer vorab definierten Fragestellung spezifizieren sie, welche Praktiken des in einem bestimmten Bereich führenden Spitals genauer untersucht werden sollen, um Unterschiede zu erklären.
  2. Beobachten: Die Benchmarking-Partner beobachten die Praktiken des jeweils führenden Spitals mit-hilfe von Dokumenten, Interviews, Präsentationen oder Besuchen vor Ort.
  3. Reflektieren: Die Benchmarking-Partner analysieren den Kontext, welcher die beobachteten Praktiken ermöglicht oder einschränkt. Sie entwerfen Optionen, um die Praktiken zu optimieren, indem sie die Kontextbedingungen hinterfragen und neu kombinieren. Um neue Ideen zu entwickeln, stützen sie sich auf ihre spitalinternen Erfahrungen, von denen auch das führende Spital profitieren kann.
  4. Verändern: Alle Benchmarking-Partner überlegen, welche Schlüsse sie für ihr eigenes Spital ziehen. Welche Kontextbedingungen können sie verändern, um ihre eigenen Praktiken zu optimieren? Sie testen Veränderungen und beobachten deren Wirkungen. Dadurch werden die Praktiken des führenden Spitals nicht kopiert, sondern auf den individuellen Kontext der Benchmarking-Partner angepasst.
Vier Phasen eines effektiven Benchmarking-Prozesses (Grafik: zvg / Universität St.Gallen).
Kommentar von Kristian Schneider zum Benchmarking

«Für die Spitalzentrum Biel AG ist Benchmarking ein essenzielles Instrument, um die relevanten Themenfelder zu erkennen, bei denen Veränderungen im Unternehmen notwendig und sinnvoll sind. In den Benchmarks werden nicht nur Finanz- und Leistungszahlen analysiert, sondern auch Prozesse und Organisationsstrukturen verglichen.

Bei den Organisationsstrukturen geht es darum, die Effizienz und Effektivität der Organisation im Sinne der sich ständig ändernden Anforderungen von aussen weiterzuentwickeln und Best Practice Input aus anderen Organisationen zu erhalten. Ein gezielter und auf bestimmte Fragestellungen bezogener Vergleich mit anderen Spitälern fördert den kritischen Blick auf die eigenen Strukturen.

«Führungsverantwortliche sollten u. a. den Nutzen aus Betriebsvergleichen erkennen und die Kompetenz besitzen, einen offenen und vertrauensbasierten Austausch mit Peers zu pflegen.»

Die Spitalzentrum Biel AG muss in der komplexen Struktur des schweizerischen Gesundheitswesens und den damit einhergehenden Herausforderungen ein besonderes Augenmerk auf die Fähigkeiten der Führungsverantwortlichen legen. Sie sollten u. a. den Nutzen aus Betriebsvergleichen erkennen und die Kompetenz besitzen, einen offenen und vertrauensbasierten Austausch mit Peers zu pflegen.

Im Konsortialprogramm des CAS-Weiterbildungsprogramms für Führungskräfte mit der Universität St.Gallen (Spitalzentrum Biel, Spital STS AG Thun und Kantonsspital Winterthur) engagieren wir uns seit drei Jahren (siehe Kasten unten). Wir erleben bei den Teilnehmenden einen signifikanten Entwicklungsprozess, der sich einerseits im Verständnis für die Herausforderungen und andererseits in der Art und Weise der Herangehensweise für Lösungen und andere Konzepte zeigt. Dieser Entwicklungsprozess ist insbesondere auf den regelmässigen und vertrauensbasierten Austausch zwischen den Konsortialpartnern und auf das sich dadurch etablierte Netzwerk zurückzuführen.»

Drei Spitäler lernen beim Management voneinander

Der beschriebene Benchmarking-Prozess eignet sich u. a. auch für Managementpraktiken. Dabei geht es darum, über Organisationsstrukturen und die Art und Weise zu lernen, wie die Benchmarking-Partner in ihren Spitälern zu tragfähigen Entscheidungen kommen. Hierfür haben sich z. B. das Spitalzentrum Biel, die Spital STS AG Thun und das Kantonsspital Winterthur entschlossen, den Lernprozess mithilfe eines gemeinsamen Weiterbildungsprogramms zu systematisieren (siehe unten).

Entscheidend bei der Gestaltung des Lernprozesses ist es, einen unbürokratischen Ablauf und konstruktiven Dialog sicherzustellen. Daraus erwächst das gegenseitige Vertrauen für eine allseits bereichernde Lernerfahrung. So kann Benchmarking einen wichtigen Beitrag leisten, die aktuellen Herausforderungen im Gesundheitswesen gemeinsam zu bewältigen.

Weiterbildungsprogramm: Benchmarking von Managementpraktiken

Um ihr Benchmarking zu systematisieren, kooperieren das Spitalzentrum Biel, die Spital STS AG Thun und das Kantonsspital Winterthur seit drei Jahren in einem Weiterbildungsprogramm für Führungskräfte mit der Universität St.Gallen. Ein wichtiges Element dieses Konsortiums ist das Benchmarking von Managementpraktiken.

Das Weiterbildungsprogramm zielt darauf ab, die Managementpraktiken der drei Spitäler in einem wissenschaftlich moderierten Lernprozess sichtbar zu machen.

Der Begriff Managementpraktiken bezieht sich auf geeignete Organisationsstrukturen und die alltäglich gelebte, oft unbewusste Art und Weise, wie Entscheidungen von spitalweiter Relevanz vorbereitet, getroffen und umgesetzt werden. In Expertenorganisationen wie Spitälern sind die Managementpraktiken häufig durch Abgrenzungstendenzen («Gärtchendenken»), bilaterale Absprachen, Intransparenz und Machtunterschiede gekennzeichnet. Während diese Praktiken bislang funktional gewesen sein mögen, stossen sie bei der Bearbeitung spitalweiter Themen zunehmend an ihre Grenzen. Das Weiterbildungsprogramm zielt darauf ab, die Managementpraktiken der drei Spitäler in einem wissenschaftlich moderierten Lernprozess sichtbar zu machen, zu reflektieren und mit Blick auf die heutigen Herausforderungen weiterzuentwickeln.

Learning Journeys in einem der drei Spitäler

Eines von mehreren Formaten des Lernprozesses sind die sogenannten «Learning Journeys». Dabei besuchen die Teilnehmenden im Rahmen der Weiterbildung eines der drei Partnerspitäler und reflektieren die Managementpraktiken des Gastgebers anhand aktueller Fragestellungen wie Strategiearbeit, Personalgewinnung oder der Optimierung von Prozessen und Strukturen. Die Learning Journeys folgen den vier Phasen des Benchmarkings, wie am Beispiel eines Besuchs im Spitalzentrum Biel ersichtlich wird:

  1. Spezifizieren: In der ersten Phase spezifizierten der Spitaldirektor und der Programmleiter die Fragestellung. In diesem Fall ging es um die Erkundung der Dynamik in der Umsetzung der Spitalstrategie.
  2. Beobachten: Beim Besuch vor Ort in Biel informierte der Spitaldirektor die Kursteilnehmenden über den Stand der Umsetzung der Spitalstrategie, die besonderen Kontextbedingungen, das bisherige Vorgehen sowie die entstandenen und absehbaren Herausforderungen.
  3. Reflektieren: Die Teilnehmenden analysierten die Informationen des Spitaldirektors. Dafür griffen sie auf Erfahrungen und Praktiken aus ihrem eigenen Spitalkontext und auf wissenschaftliche Impulse aus dem Weiterbildungsprogramm zurück. Auf dieser Grundlage entwickelten sie Lösungsansätze, die im Plenum hinsichtlich Durchführbarkeit, Nutzen und Risiken bewertet wurden.
  4. Verändern: Die Teilnehmenden überlegten, welche Schlüsse sie aus dem «Fallbeispiel Biel» für die Strategiearbeit in ihren eigenen Spitälern ziehen. Das Spitalzentrum Biel profitierte von den Lösungsimpulsen der teilnehmenden Konsortialpartner. Die Schlussfolgerungen und Lösungsätze können in den drei teilnehmenden Spitälern zur Weiterentwicklung ihrer Strategiearbeit experimentell getestet werden.

Insgesamt ermöglicht die Learning Journey in den vier Benchmarking-Phasen einen systematischen Vergleich der Praktiken der Partnerspitäler. Im gemeinsamen Lernen erkennen sie blinde Flecken des eigenen Handelns und können die eigenen Praktiken dadurch gezielt weiterentwickeln. Im Kontext der grossen Herausforderungen, mit denen die Schweizer Spitäler heute konfrontiert sind, wird die Arbeit an der eigenen Managementpraxis zu einem zentralen Erfolgsfaktor.

Beitragsbild: Canva.com

   

Bleiben Sie informiert über aktuelle Themen mit unserem monatlichen Newsletter