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4. Oktober 2022

Background

Selbsthilfe Schweiz

Auch in Spitälern: Selbsthilfe ist selbstverständlich

In einem zeitgemässen Spital gehört die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe selbstverständlich zu den Angeboten, die den Betroffenen ergänzend zur medizinischen Behandlung gemacht werden.
Competence Elena Konstantinidis

Autorin

Elena Konstantinidis

M.A., Projektleiterin, Stv. Geschäftsführerin, Selbsthilfe Schweiz

e.konstantinidis@selbsthilfeschweiz.ch

«An unseren Treffen können sich Betroffene untereinander austauschen oder einfach nur zuhören. Es können wertvolle Begegnungen und Freundschaften entstehen. Wir arbeiten für mehr Sichtbarkeit und Enttabuisierung», sagt Barbara Kundert von der Brustkrebs-Selbsthilfeorganisation TAVOLA ROSA BASEL.1 In der Schweiz gibt es rund 2700 Selbsthilfegruppen. Rund drei Viertel davon tauschen sich über ein Thema im Bereich der somatischen oder psychischen Gesundheit aus.2 Neben Gruppen für direkt Betroffene spielen auch Gruppen für Angehörige eine wichtige Rolle. Das Engagement in den Selbsthilfegruppen beruht auf Freiwilligenarbeit. Zu deren Unterstützung gibt es in der Schweiz zweiundzwanzig regionale Selbsthilfezentren, die von Fachpersonen geführt werden. Sie koordinieren und begleiten die Selbsthilfegruppen, beraten Betroffene und informieren über die Selbsthilfe.

Selbsthilfegruppen als Gewinn für das Gesundheitswesen

Das persönliche Erleben von Austausch und Gemeinschaft in der Selbsthilfegruppe hat auch aus Sicht des Gesundheitswesens positive Wirkungen. Die Betroffenen vermitteln einander gegenseitig Zugang zu Informationen über ihre Erkrankung und deren Behandlung sowie über die Bewältigung der Herausforderungen, die im Alltag durch diese entstehen. Damit fangen die Selbsthilfegruppen viele soziale und psychische Probleme auf, die nicht im Rahmen der ärztlichen oder pflegerischen Versorgung bearbeitet werden können. Auch das soziale Umfeld der Patient:innen wird entlastet. Umgekehrt erleben sich die Teilnehmenden in den Gruppen, aber auch selbst in einer neuen, kompetenten Rolle, wenn sie anderen Betroffenen Erfahrungen weitergeben und sie unterstützen können. Diese gestärkte Selbstwirksamkeitserfahrung trägt zur Förderung der Resilienz bei. Gemeinschaftliche Selbsthilfe ist daher ein wichtiges Element der Selbstmanagementförderung.3 Arbeiten Selbsthilfe und Gesundheitswesen zusammen, so fördert die Teilnahme in der Selbsthilfe zudem die Compliance mit den Anweisungen des medizinischen Personals.4

Beispiel Tumorzentrum Universitätsspital Basel

«Die Kooperation mit dem Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel im Rahmen des Projekts ‹Selbsthilfefreundliche Spitäler› ermöglicht uns den Austausch mit den betreuenden Fachpersonen. Wir werden über aktuelle Veranstaltungen und Neuigkeiten der Forschung auf dem Laufenden gehalten und sind bei Info-Anlässen dabei. Die Patient:innen werden so über das Angebot an Selbsthilfegruppen informiert», sagt Barbara Kundert.

Selbsthilfefreundliche Spitäler und Kliniken informieren Patient:innen und Angehörige systematisch über die Selbsthilfe. Sie arbeiten mit Selbsthilfegruppen auf Augenhöhe zusammen, um das Engagement und Erfahrungswissen der Betroffenen zu Gunsten weiterer Patient:innen nutzen zu können.

Das persönliche Erleben von Austausch und Gemeinschaft in der Selbsthilfegruppe hat auch aus Sicht des Gesundheitswesens positive Wirkungen.

Die «Selbsthilfefreundlichkeit» eines Spitals wurde von der Stiftung Selbsthilfe Schweiz im Rahmen von sechs Qualitätskriterien beschrieben.5 Die Stiftung strebt an, bis 2024 achtzig Spitäler zu erreichen, die «selbsthilfefreundlich» oder auf dem Weg dazu sind. Dazu wird im Rahmen des Programms «Prävention in der Gesundheitsversorgung» von Gesundheitsförderung Schweiz und in enger Zusammenarbeit mit den regionalen Selbsthilfezentren das Projekt «Selbsthilfefreundliche Spitäler»6 umgesetzt. Die Kriterien für die «Selbsthilfefreundlichkeit» sind dabei als knappe Leitlinien formuliert, die es einem Spital ermöglichen, die Kooperation mit der Selbsthilfe bedarfsgerecht und pragmatisch umzusetzen. Dazu wird in einem «Kooperationsdreieck» von Spital, Selbsthilfezentrum und Personen aus Selbsthilfegruppen vor Ort für jedes Spital ein individueller Massnahmenplan entwickelt. Wird dieser während eines Jahres erfolgreich implementiert, so kann das Spital von Selbsthilfe Schweiz die Auszeichnung «Selbsthilfefreundliches Spital» erhalten. Der Aufwand für die Zusammenarbeit seitens der Spitäler und Kliniken mit der Selbsthilfe ist dabei sehr überschaubar. Gemeinsam kann so den Patient:innen ein unkompliziertes und kostengünstiges Zusatzangebot gemacht werden.

1 Blog-Beitrag vom 21.3.22 auf www.selbsthilfefreundlichkeit.ch
2 vgl. L. M. Lanfranconi, L.M., J. Stremlow, (2017): Gemeinschaftliche Selbsthilfe in der Schweiz. Bedeutung, Entwicklung und ihr Beitrag zum Gesundheits- und Sozialwesen. Bern: Hogrefe
3 C. Kessler, A. Lasserre Moutet (2022): Konzept Selbstmanagement-Förderung bei nichtübertragbaren Krankheiten, Sucht und psychischen Erkrankungen. Bern, Bundesamt für Gesundheit (Hrsg.)
4 Monika Bobzien (2008): Selbsthilfefreundliches Krankenhaus – auf dem Weg zu mehr Patientenorientierung. Ein Leitfaden für interessierte Krankenhäuser. Essen: BKK-Bundesverband (Hrsg.)
5 Broschüre «Gesundheitskompetenz dank selbsthilfefreundlicher Spitäler»:
www.selbsthilfeschweiz.ch/dam/jcr:1246398a-5681-486a-bd04-6c4f7a3ff620/Selbsthilfefreundliche_Spitäler_de_Einzelseiten.pdf
6 https://gesundheitsfoerderung.ch/pgv/aktuelle-foerderrunde/ausgewaehlte-projekte/gesundheitskompetenz-dank-selbsthilfefreundlichen-spitaelern.html

Beitragsbild: Helena Lopes auf Unsplash

   

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