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14. Juni 2022

FOCUS AMBULANTE FINANZIERUNG

H+ Beitrag

Dringender Revisionsbedarf

Die Spitäler spielen auch in der ambulanten Versorgung eine zentrale Rolle. Die Erlöse durch die Sozial­versicherungen decken jedoch die Kosten seit Jahren nur zu ca. 70 Prozent. Bei der Finanzierung der spitalambulanten Leistungen besteht somit dringender Revisionsbedarf.
Competence Christoph Schöni

Autor

Christoph Schöni

Leiter Geschäftsbereich Tarife, Mitglied der Geschäftsleitung, H+ Die Spitäler der Schweiz

christoph.schoeni@hplus.ch

Competence Markus Trutmann

Autor

Markus Trutmann

Leiter Geschäftsbereich Politik, Mitglied der Geschäftsleitung, H+ Die Spitäler der Schweiz

markus.trutmann@hplus.ch

Die Spitäler und Kliniken nehmen heute in der ambulanten Versorgung eine zentrale Rolle ein. Ohne das spitalambulante Angebot könnte die Schweizer Bevölkerung nicht mehr adäquat versorgt werden. Dank des medizinischen Fortschritts können heute viele Untersuchungen und Behandlungen ambulant durchgeführt werden, was sowohl volkswirtschaftlich wie auch aus Sicht der Patient:innen sinnvoll ist. Ein grosser Teil davon kann durch niedergelassene Ärzt:innen erbracht werden.

Die Spitäler und Kliniken sind jedoch aufgrund ­ihrer breiten medizinischen Expertise und der vorhandenen modernen Infrastruktur prädestiniert, auch spezialisierte oder komplexe ambulante Leistungen anzubieten. Die ambulante Versorgung profitiert von der hohen Qualität der Leistungserbringung im stationären Bereich und verbessert zudem die Wirtschaftlichkeit der Spitäler und Kliniken. Häufig ist es auch so, dass in Regionen, in denen die Versorgung durch die freie Praxis nicht mehr gewährleistet ist, die Spitäler und Kliniken mit ambulanten Einrichtungen die Versorgungslücken schliessen und der Bevölkerung eine wohnortsnahe und integrierte Versorgung anbieten.

Die Spitäler und Kliniken müssen auch im ambulanten Bereich die Betriebskosten und die Investitionen vollständig aus den Patientenerlösen decken können, was heute nachweislich nicht möglich ist.

Einführung TARMED: Subventionen werden überführt

2004 wurde im spitalambulanten Bereich, wie auch in der freien Praxis, das Einzelleistungstarifsystem TARMED eingeführt. Die Einführung musste gemäss Entscheid des Bundesrates sogenannt kostenneutral erfolgen, d. h. die Einführung des TARMED durfte den Sozialversicherungen keine Mehrkosten verursachen. Folgendes gilt es dabei zu beachten, wobei dies nicht auf alle Spitäler und Kliniken 1:1 übertragen werden kann:

  • Das ambulante Leistungsvolumen der Spitäler und Kliniken war damals noch sehr bescheiden.
  • Die Finanzierung der Spitäler und Kliniken war damals von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich. Oftmals übernahmen die Kantone eine Defizit­garantie.
  • Die Investitionen, insbesondere in die Gebäude und die Medizintechnik, wurden durch die Kantone finanziert mit dem Fokus auf die stationäre Leistungserbringung.

Die kantonale Mitfinanzierung wurde mit der kostenneutralen Einführung des TARMED in die Preise (Taxpunktwerte) überführt. Die Taxpunktwerte bei Einführung des TARMED waren in den meisten Kantonen deutlich unter 1 Franken, während die vollkostenbasierten, kalkulatorischen Taxpunktwerte deutlich über 1 Franken lagen. Nach Einführung des TARMED pendelten sich die Taxpunktwerte TARMED durchschnittlich leicht unter Franken 0,90 ein. Daran änderten auch die vielen kantonalen Festsetzungsverfahren nichts.

Zertifizierte Kostenrechnungen nach einheitlicher Methode

Mit Blick auf die neue Spitalfinanzierung und die Forderung der wirtschaftlichen Unternehmensführung haben die Spitäler eine national harmonisierte Kostenträgerrechnung (REKOLE®) eingeführt. Diese funktioniert im stationären und ambulanten Bereich nach dem gleichen Regelwerk. Ergänzend zu REKOLE® wurde ITAR_K® entwickelt, eine Methode, welche die Kosten je Versorgungsbereich und Tarifsystem transparent ausweist. Die Kostenrechnung der Spitäler wird zudem von spezialisierten Unternehmen regelmässig zertifiziert.

Klar ist, dass die Tarife der Sozialversicherungen die verursachten Kosten nicht decken. Dramatisch ist der Zustand im spitalambulanten Bereich, insbesondere im ärztlichen Bereich, der mittels TARMED abgegolten wird: Die ­Erlöse decken die Kosten nur zu ca. 70 Prozent.

2012: Die neue Spitalfinanzierung

Per 2012 wurde die Spitalfinanzierung im Krankversicherungsgesetz (KVG) neu geregelt. Entscheidend dabei ist, dass seither die Investitionen vollständig durch die Spitäler und Kliniken finanziert werden müssen und dass die Subventionen der Kantone massiv zurückgefahren wurden, so wie dies vom KVG auch gefordert wird. Während die stationären Tarife auf die Vollkosten abstellen, wurde das Prinzip der neuen Spitalfinanzierung im spitalambulanten Bereich bis heute nicht vollzogen. Die durch die kostenneutrale Einführung des TARMED überführten kantonalen Subventionen (Investitionen und Defizite) sind auch in den heutigen Taxpunktwerten TARMED noch enthalten, auch wenn diese nicht mehr bezahlt werden. Die Spitäler und Kliniken müssen auch im ambulanten Bereich die Betriebskosten und die Investitionen vollständig aus den Patientenerlösen decken können, was heute nachweislich nicht möglich ist.

TARMED: Die Eingriffe des Bundesrates zulasten der Spitäler

Die Tarife der Spitäler und Kliniken im Bereich der So­­z­ialversicherungen sind nicht kostendeckend. Spä­testens seit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung besteht ein grosser Druck, die Effizienz laufend zu verbessern, was die Spitäler und Kliniken auch tun. ­Leider wird diese Effizienzverbesserung nicht ­gewürdigt, im Gegenteil: Mit den beiden Eingriffen des Bundesrates in die Tarifstruktur TARMED wurde die Erlössituation der Spitäler und Kliniken massiv ­verschlechtert.

Die Ablösung des TARMED durch ambulante Pauschalen in Kombination mit einem Einzel- und Zeitleistungstarif (z. B. Teile des TARDOC) ist ein wichtiges Element, aber ganz zentral wird sein, ob auf Ebene der Preise endlich Schritte in die richtige Richtung gemacht werden können.

Spitalambulanter Bereich: Die dramatische Unterfinanzierung

Dank der national einheitlichen und zertifizierten Kostenträgerrechnung der Spitäler und Kliniken erhalten die Versicherer und Kantone jährlich transparent Einsicht in die Kostendeckungsgrade der verschiedenen Versorgungsbereiche und Tarifsysteme. Klar ist, dass die Tarife der Sozialversicherungen die verursachten Kosten nicht decken. Dramatisch ist der Zustand im spitalambulanten Bereich, insbesondere im ärztlichen Bereich, der mittels TARMED abgegolten wird: Die ­Erlöse decken die Kosten nur zu ca. 70 Prozent.

EFAS: Die Lösung oder doch nicht

H+ unterstützt die einheitliche Finanzierung ambulant und stationär (EFAS). Damit können Fehlanreize eliminiert und die integrierte Versorgung kann gefördert werden. Die Misere in der spitalambulanten Finanzierung wird EFAS hingegen nicht lösen. Die Ablösung des TARMED durch ambulante Pauschalen in Kombination mit einem Einzel- und Zeitleistungstarif (z. B. Teile des TARDOC) ist ein wichtiges Element, aber ganz zentral wird sein, ob auf Ebene der Preise endlich Schritte in die richtige Richtung gemacht werden können.

Die dramatische Unterfinanzierung der spitalambulanten Leistungen wird sich nicht in Luft auflösen. Wir müssen jetzt handeln, damit wir gemeinsam das Problem schrittweise beheben können und es nicht der kommenden Generation überlassen.

Beitragsbild: Raten-Kauf auf Pixabay