Interprofessionell Lernen, TRAKI, USZ, MTTB-Berufe
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6. Juni 2023

Trend

Interprofessionell lernen

Mit den Augen der anderen sehen lernen

Im interprofessionellen TRAKI-Projekt für medizinisch-technische Berufe begleiten Studierende einen «fiktiven» Patienten durch das Spital – und lernen dabei die Berufsprofile kennen.
Competence Kathrin Bauer

Autorin

Kathrin Bauer

Bildungsverantwortliche MTTB Biomedizinische Analytik, Universitätsspital Zürich (USZ)

kathrin.bauer@usz.ch

«Heute begleiten wir zu viert unsere fiktive Patientin Frau L. durch das Spital. Vier Stationen sind eingeplant – Labor, Pflege, Orthoptik und OP. An jeder Station warten Aufgaben auf uns», berichtet eine Studentin der Biomedizinischen Analytik. Gemeinsam mit Studierenden der Operationstechnik, der Orthoptik und der Pflege macht sie sich auf den Weg.

Ein interprofessionelles Team kann mehr leisten als jede Berufsgruppe für sich allein.

Gemeinsam das Beste für Patient:innen bewirken

Via QR-Code lesen alle Teilnehmenden ihre Aufgaben ein. Zuerst lösen sie die Fragen individuell – danach diskutieren sie miteinander – stets mit Bezug auf die Patient:innengeschichte. Am Nachmittag treffen sie sich, um ihre Ergebnisse mit den Berufsbildenden in der TRAKI-Gruppe zu diskutieren. «TRAKI» steht für Transfer, Reflexion, Aktion, Kreativität und Interaktion. Alle fünf Aspekte sind gefragt, um zu lernen, wie ein interprofessionelles Team gemeinsam das Beste für eine Patientin bzw. einen Patienten bewirken kann.

Interprofessioneller Perspektivenwechsel

Für medizinisch-technische Berufe gibt es selten interprofessionelle Bildungsangebote. Daher entwickelte die «Fachgruppe Tertiärstufe B» ein Format, das spezifisch auf Studierende der Bildungsgänge Biomedizinische Analytik, medizinisch-technische Radiologie, Operationstechnik, Orthoptik und Pflege ausgerichtet ist.

Es handelt sich um einen Lern-Transfer-Tag, fokussiert auf Fallgeschichten fiktiver Patient:innen entlang des Patientenpfades – mit Halt an vier «Lernstationen». Dort setzen sich die Studierenden gezielt mit dem beruflichen Alltag der jeweiligen Professionen auseinander. Stets geht es darum, ein gemeinsames Verständnis der Patient:innensituation zu entwickeln: Wie beurteilen die Kolleg:innen den aktuellen Zustand von Frau L.? Worauf achtet beispielsweise die Biomedizinische Analytikerin? Welche Informationen benötigt der Orthoptist?

Schlüsselerlebnisse ermöglichen

Am Lern-Transfer-Tag haben die Studierenden die Möglichkeit,

  • die klinischen Denkprozesse anderer Professionen nachzuvollziehen;
  • anhand der Lernaufträge im interprofessionellen Team Lösungen für Patient:innensituation zu
    entwickeln;
  • Koordination an interprofessionellen Schnittstellen zu trainieren;
  • respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe mit anderen Berufsgruppen zu üben und
  • gemeinsam Lösungen zu entwickeln, um Heraus­forderungen des klinischen Alltags im
    interprofessionellen Team zu meistern.

«Ein interprofessionelles Team kann mehr leisten als jede Berufsgruppe für sich allein» – dieses Erlebnis ist zentral für die Teilnehmenden. Gemeinsam etwas für die Patientin bzw. für den Patienten bewirken zu können, ist motivierend. Wertschätzung durch die anderen Berufsgruppen zu erhalten, ist eine Schlüsselerfahrung. Sie kann sich prägend auf die Haltung und die Berufsidentität auswirken.

Ergebnisse und Evaluation

Wie zufrieden sind die Studierenden mit dem TRAKI-Konzept und dem Lerntag? Um dies herauszufinden, führte die Fachgruppe nach dem ersten Lerntag eine Evaluation durch: Was wirkt motivierend? Wo besteht Verbesserungspotenzial? Was war das Highlight des Tages?

  • «Der Austausch mit anderen Professionen hat mir geholfen, ihren Blickwinkel besser zu verstehen» – dieser Aussage stimmten 96 Prozent der Befragten zu;
  • 100 Prozent gaben an, dass sie ihr Wissen erweitern konnten;
  • 85 Prozent bestätigten, dass ein Transfer in die Praxis möglich ist;
  • 100 Prozent stimmten zu, dass die Berufsbildenden auf die Anliegen der Teilnehmenden eingingen.

Mehr Zeit an den einzelnen Lernstationen zu verbringen, war ein Wunsch vieler Teilnehmender: «Ich habe gelernt, die Dinge mit den Augen der anderen zu sehen», berichtete eine Studentin.

Für die Studierenden gehört «ein gutes Team» zu den stärksten Motivationsfaktoren im klinischen Alltag. TRAKI kann dieses Teamerlebnis ermöglichen – und zu einer interprofessionellen Berufsidentität beitragen.

Alle Beteiligten profitieren

Die Evaluation zeigte: Alle Beteiligten profitieren vom TRAKI-Konzept. Die Patientin bzw. der Patient rückt ins Zentrum. Neue Erkenntnisse aus den interprofessionellen Besprechungen lassen sich direkt in die Praxis übertragen.

Auch die begleitenden Berufsbildenden hatten immer wieder «Aha-Erlebnisse». Sie sind «monoprofessionell» ausgebildet. Deshalb war das interprofessionelle Setting auch für sie lehrreich. Für die Studierenden gehört «ein gutes Team» zu den stärksten Motivationsfaktoren im klinischen Alltag. TRAKI kann dieses Teamerlebnis ermöglichen – und zu einer interprofessionellen Berufsidentität beitragen.

Co-Autorinnen

Ivonne Ender, Bildungsverantwortliche MTTB Radiologie, Universitätsspital Zürich (USZ)

Jutta Pott, Bildungsverantwortliche Pflege Operationstechnik, USZ

Sandra Moser, Bildungsverantwortliche Pflege, USZ

Renata Gulik, Leiterin Orthoptik, USZ

Literatur

Deci, E., & Ryan, R. (2000). Self-Determination Theory and the Facilitation of Intrinsic Motivation, Social Development, and Well-Being. American Psychologist, S. 68-78. doi:10.1037110003-066X.55.1.68

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Fischer, S., & Reichmuth, A. (2020). Gamification – Spielend Lernen. Bern: hep.

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Landwehr, N. (2002). Der dritte Lernort. In W. Goetze, P. Gonon, A. Gresele, S. Kübler, H. Landolt, N. Landwehr, . . . P. Egger, Der Dritte Lernort, Bildung für die Praxis, Praxis für die Bildung (S. 46-52). Bern: hep.

Rustemeier-Holtwick, A., & Wolpert, A. (2015). Lernszenario Community of Practice. In M. Sieger, L. Goertz, A. Wolpert, & A. Rustemeier-Holtwick, Digital lernen – evidenzbasiert pflegen (S. 109-113). Berlin: Springer.

Sagmeister, M. (2019). Situiertes Lernen: Informelles Lernen am Arbeitsplatz in der Community of Practice.
In M. Fröse , B. Naake, & M. Arnold, Führung und Organisation (S. 417-432). Stuttgart: Springer.

Sailer, M. (2016). Die Wirkung von Gamification auf Motivation und Leistung – Empirische Studien im Kontext manueller Arbeitsprozesse. München: Springer.

Tolks, D., Lampert, C., Dadaczynski, K., Maslon, E., Paulus, P., & Sailer, M. (25.05.2020). Spielerische Ansätze in Prävention und Gesundheitsförderung: Serius Game und Gamification. Bundesgesundheitsblatt.

Beitragsbild: Vorbereitung für eine Planungs-Computertomografie – Eine Radiologie-Studierende (links im Bild) legt einer Studierenden der Biomedizinischen Analytik (liegend auf dem Untersuchungstisch) eine Bestrahlungsmaske an. Die Studierende der Operationstechnik (Mitte) und die Pflegestudierende (rechts) haben diese Maske vorab unter Anleitung der Radiologiestudierenden selbst hergestellt (Foto: USZ).