DNA, Gentechnik
Competence Readtime4 min
14. Februar 2023

FOCUS Innovation

Zukunftsforschung

Zukunft der Medizin: Da geht was!

Der Medizin stehen bahnbrechende Jahrzehnte bevor. Phänomenale wissenschaftliche Durchbrüche werden sie in eine neue Liga katapultieren. Aber auch die Herausforderungen wachsen.
Competence Georges T. Roos

Autor

Georges T. Roos

Zukunftsforscher, ROOS Trends & Futures, Co-Präsident swissfuture.ch

roos@kultinno.ch

Die informierte Gesellschaft ist sich einig, dass der Klimawandel unsere Welt langfristig massiv umformen wird: Landschaft, Wirtschaft, Konsum, Lebensräume, Migrationsströme und selbst politische Ordnungen. Im Gegensatz dazu findet eine zweite Mega-Transformation noch nicht die grosse Aufmerksamkeit: Die Bio-Transformation. Zu Unrecht: Das Jahrhundert der Biologie hat begonnen.

Die Herausforderungen für das Gesundheitswesen nehmen stark zu. Die Medizin steht aber auch vor bahnbrechenden Innovationen.

Die Weltbevölkerung wächst und wird älter; hierzulande könnte die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt in zwei Jahrzehnten bereits die 90-Jahre-Marke erreichen. Der Fachkräftemangel ist hier, um zu bleiben und im Gesundheitsbereich drastischer als andernorts: Die Erwerbsbevölkerung stagniert, die Zahl der hochaltrigen Menschen aber verdoppelt sich bis 2040. Ausserdem wird der Klimawandel zu mehr Hitzetagen führen, die für vulnerable Menschen bedrohlich sind und übertragbare Krankheiten aus dem globalen Süden zu uns bringen. Und nicht zuletzt: Die psychische Resilienz vor allem der jungen Menschen scheint schlechter zu werden.

Auf der anderen Seite steht die Medizin vor bahnbrechenden und faszinierenden Innovationen. Namentlich Fortschritte in der Biotechnologie und den Datenwissenschaften katapultieren die Medizin in eine neue Liga.

Genetisches Editieren eröffnet ungeahnte Möglichkeiten

Die drastisch gesunkenen Kosten der Gensequenzierung und die Entdeckung der «Gen-Schere» (Crispr), die das genetische Editieren erlaubt, werden Therapien von Erkrankungen ermöglichen, die bis vor Kurzem als unheilbar erschienen. Dazu gehören Erbkrankheiten, verschiedene Krebsarten, vielleicht auch Demenzerkrankungen. Einzelne fehlerhafte Gene können repariert, ein- oder ausgeschaltet werden. Ein erster Schritt wird soeben getan: eine Biotech-Firma hat angekündigt, bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) eine Zulassung für eine Crispr-Therapie zur Heilung der erblichen Bluterkrankungen Sichel­zellen- und Beta-Thalassämie zu beantragen.

Synthetische Biologie im Aufschwung

Geradezu fantastisch mutet die entdeckte Möglichkeit an, Erbgut zu drucken. Die Forschenden wissen mittlerweile wie die DNA von in der Natur vorkommenden Zellen zu kopieren und ihre Basen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T) neu zu arrangieren sind. Sie schaffen damit biologische Codes mit therapeutischen Eigenschaften, die es in der Natur so nicht gibt. Die Rede ist von der synthetischen Biologie, einer Kombination von Ingenieurskunst und Biologie. Die DNA wird am Computer designt, mit dem DNA-Printer ausgedruckt und in eine Zelle gebracht. Wie Legosteine ergeben sich daraus sogenannte Bio-Bricks, welche per Kurier an Forschungsstätten verschickt werden. Auch da hat die Zukunft bereits begonnen, und vielleicht wird damit sogar das Altern «heilbar».

Viele Medikamente der Zukunft können Bakterien sein – natürlich vorkommende, aber auch im Computer neu programmierte.

Besonders bemerkenswert ist das Potenzial, mit diesem Verfahren massgeschneiderte Bakterien herzustellen. Das Verständnis unseres Mikrobioms wächst rasant. Die über 39 Billionen Bakterien und Pilze in und auf uns beeinflussen nicht nur die Verdauung. Es wird vermutet, dass verschiedene und darunter sogar psychische Erkrankungen mit der Vielfalt und Zusammensetzung des individuellen Mikrobioms zusammenhängen. Viele Medikamente der Zukunft könnten also Bakterien sein – natürlich vorkommende, aber auch im Computer neu programmierte.

Zentrale Bedeutung der Datenwissenschaften

Gensequenzierung und synthetische Biologie zeigen ganz deutlich die überragende Bedeutung der Datenwissenschaften für die Zukunft der Medizin. Ein Laie ist verblüfft, wenn ihm aufgeht, wie viele medizinische Behandlungen heute noch auf einem dürftigen Datensatz beruhen. Das wird sich ändern, selbst wenn noch politische und habituelle Hürden (z. B. in Arztpraxen) zu überwinden sind. Mithilfe der Künstlichen Intelligenz werden schon bald riesige Datensätze Zusammenhänge erkennbar machen und zu viel besseren Diagnosen und Therapien führen.

Innovationen durchlaufen Stadien. Einige werden sich als Irrwege, andere als Hypes herausstellen. Es ist aber davor zu warnen, vorschnell auf einen Hype zu tippen. So hat die Zeit z. B. jenen Skeptikern nicht recht gegeben, die in den Anfängen das Internet als überschätzt beurteilten. Die digitale Transformation hat alles erfasst und fast alles verändert. Die Bio-Transformation hat das Potenzial, ähnlich umwälzend zu sein. Sie ist «the next big thing».